Infrastruktur – Fundament der Zukunft
Experte: Sebastian Diers, Vorstand, ROI-EFESO | 12.11.2024 | Teilen auf in
„What makes business? The roads! How do they move the food they eat? The roads! How do they get to work? The roads! How do they get home to their wives? The roads!“
– Robert A. Heinlein, The Roads Must Roll
1940 schrieb der amerikanische Autor Robert A. Heinlein die Kurzgeschichte „The Roads Must Roll“. Darin ent - wirft er das Bild einer Stadt, die durch die Abschaffung des rollenden Verkehrs dem drohenden Verkehrs- und Umweltkollaps entkommt. Stattdessen rollen – durch emissionsarme Turbinen angetrieben – die Straßen selbst, ebenso wie gewaltige Passagierplattformen an ihren Rändern. Die Geschwindigkeit nimmt von der Mitte bis zu den Rändern immer weiter ab. Die nicht mobile städtische Umgebung entsteht rund um dieses System, so wie die Städte einst entlang der Flussläufe entstanden. Doch diese innovative urbane Topografie hat leider auch eine Schattenseite. Sie zeigt sich in Form neuer sozialer Spannungen, neu entstehender prekärer Klassen, technologischer Anfälligkeiten und einer fragilen, auf ständige Bewegung angewiesenen Ökonomie.
„The Roads Must Roll“ zeigt, wie schwierig es ist, Infrastruktur neu zu denken und erst recht sie zu erneuern und weiterzuentwickeln. Seit der Antike spielt die Infrastruktur eine Schlüsselrolle für die politische und wirtschaftliche Entwicklung. Das gilt insbesondere dann, wenn eine gesellschaftliche Ordnung auf Innovation, Expansion und Teilhabe ausgerichtet ist. Die Infrastruktur – Verkehrs- und Kommunikationsnetze, Energieversorgung, physische und digitale Basistechnologien, Fabriken und Gebäude oder logistische und militärische Fähigkeiten – ist auch heute die Basis dafür, dass dieses auf Wachstum ausgerichtete Programm ausgeführt werden kann.
Europa war über Jahrhunderte Infrastruktur-Welt - meister. Trotz Kriegen, politischen Verwerfungen und Kleinstaaterei ist es gelungen, immer bessere strukturelle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Kontinent prosperieren kann. Die drei goldenen Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg – Wirtschaftswunder in Deutschland, die „Trente Glorieuses“ in Frankreich – sind untrennbar mit einem beispiellosen Reset der Infrastruktur verbunden.
Doch heute, ein halbes Jahrhundert später, ist offen - sichtlich, dass etwas nicht stimmt. Die Transport-, Energie- und Kommunikationsnetze stoßen an Grenzen, die Autobahnbrücken – allein in Deutschland bis zu 5.000 – bröckeln, die Städte leiden an Überfüllung, Überflutung und Überhitzung, logistische Ketten brechen durch Staus und unzuverlässigen Bahn- und Flugverkehr zusammen. Auch die Ausrüstung vieler produzierender Unternehmen – ihre Hallen, Anlagen, Maschinen – wird zu einem zunehmend kritischen Engpassfaktor, weil sie entweder ebenfalls veraltet oder nicht an die schnellen Technologie - zyklen und disruptiven Marktumbrüche adaptierbar ist.
Es wird immer deutlicher, dass es eine zuverlässige, skalierbare, adaptive und resiliente Infrastruktur braucht. Ohne sie funktionieren moderne Produktions - konzepte und digitale Initiativen nicht und auch nicht die Gestaltung von auf Zirkularität und Effizienz ausgerichteten Prozessen, die Dezentralisierung und Dekarbonisierung der Energieversorgung oder die Anpassung an den demografischen Wandel. The Roads Don’t Roll – und der wachsende infrastrukturelle Rückstand Europas wird zusehends zu einem Problem im globalen Wettbewerb.
Für diese Entwicklung gibt es eine Vielzahl von Gründen. Die Investitionen in Infrastruktur binden langfristig viel Kapital, das heute, wie wir in der vorherigen DIALOGAusgabe gezeigt haben, dringend gebraucht wird, um im Markt zu bestehen. Gleichzeitig greifen diese In - vestitionen erst nach Jahren, sodass Entscheider, die solche Projekte in Angriff nehmen, die hohen Kosten und den Ärger haben, aber meist nicht die Früchte ihrer Entscheidungen ernten. Gleichzeitig haben Brücken, Netze, Anlagen und Gebäude i.d.R. einen sehr langen Bremsweg bis zur vollständigen Untauglichkeit. Der Workaround, die Anpassung an den schleichenden Verfall und die stetige Verschiebung der Investitionen können deshalb aus einer individuellen Perspektive rationaler erscheinen als die teure und komplexe Renovierung und Instandhaltung. Darüber hinaus sind Infrastrukturen entweder öffentliche Güter oder sie ragen in den öffent - lichen Raum hinein, was in demokratischen Staaten unweigerlich zu zähen und langwierigen sozialen und politischen Aushandlungsprozessen führt.
Vor allem aber stehen sowohl staatliche als auch private Akteure vor dem Problem, angesichts der sehr langen Bau- und Lebenszyklen von Infrastrukturen nicht genau zu wissen, welche Spezifikationen künftig gebraucht werden und wie das Risiko, in etwas zu investieren, das bei der Fertigstellung bereits veraltet ist, reduziert werden kann. Es braucht deshalb Konzepte, um mit dieser fundamentalen Unsicherheit effektiv umzugehen, und den Mut, die notwendigen Schritte auch zu gehen.
Als globale Operations-Beratung für die produzierende Industrie sind wir immer wieder mit verschiedenen Infrastrukturaspekten konfrontiert – ob im Rahmen von Veränderungsprojekten, oder im Kontext von Rahmenbedingungen, die unternehmerisches Handeln ermöglichen und limitieren. Für diese Ausgabe des DIALOG, haben wir unsere Erfahrungen und externe Perspektiven auf das Thema zusammengeführt und die Konturen einer smarten und zukunftsfähigen Infrastruktur skizziert.
Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen
Sebastian Diers
Vorstand, ROI-EFESO
DIALOG #70 – SMART INFRASTRUCTURES
Wie wir unsere Infrastrukturen zukunftsfest machen