In Deutschland ist die Vorstellung, Dinge besitzen zu müssen, noch sehr stark verankert

Gespräch mit Andrés Hernández, Vice President & Industry Lead Automotive, ROI-EFESO


DIALOG: Der Ruf nach einer CapEx-Reduktion scheint gerade Common Sense zu sein. Was spricht dagegen?

AH: Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum eine einseitige Fokussierung auf die Reduktion von CapEx mittel- bis langfristig problematisch ist: zum einen, weil die CapEx nie isoliert betrachtet werden können, sondern immer in Wechselwirkung mit anderen Zielvariablen wie z.B. Nachhaltigkeit oder Total Cost of Ownership stehen – was zwangsläufig zu Trade-offs führt. Insofern kann eine Fokussierung auf die CapEx allein aus Kostensicht nicht richtig sein, solange diese Zielkonflikte bestehen. Zum anderen kann die Reduktion von CapEx dann problematisch werden, wenn dadurch die Fähigkeit verloren geht, Maschinen und Anlagen modular und wiederverwendbar für verschiedene Produkte, Kunden und Anwendungsfälle betreiben zu können. Denn jede Maschine, die über die für den jeweiligen Einsatzzweck optimal dimensionierte und damit kostengünstigste Konfiguration hinausgeht, bedeutet automatisch höhere Investitionskosten, also mehr CapEx, als von der Aufwandsseite her eigentlich notwendig wären.

 

DIALOG: Umgekehrt könnte man argumentieren, dass eine Investition in Anlagen immer auch eine Investition in gewisse Strukturen und Fähigkeiten ist, durch die man zusätzliche Marktzugangsbarrieren aufbaut und sich gegen den Wettbewerb immunisiert ...

AH: Ja, aber nur so lange, wie die Aufträge, unter deren Annahme eine neue Linie oder Maschine geplant, gekauft und konfiguriert wurde, auch tatsächlich eintreffen oder abgerufen werden. Gerade in Branchen mit starken Abhängigkeiten zwischen Zulieferern und Herstellern, wie in der Automobilindustrie, ist dies – trotz entsprechender Zusagen und Verträge – häufig nicht der Fall. Das bedeutet: Wenn es nicht gelingt, Anlagen flexibel für verschiedene Anwendungsfälle auszulegen, kann dies dazu führen, dass man zwar eine günstige, CapEx-optimierte Linie hat, diese aber stillsteht, weil sie aufgrund ihrer Spezifikation nicht anderweitig eingesetzt werden kann. 

 

DIALOG: Welche Schlussfolgerung kann man daraus ziehen?

AH: Die Schlussfolgerung daraus ist nicht, alles zu versuchen, um gar keine CapEx zu erzeugen. Vielmehr geht es darum, die optimale Balance zwischen minimalen CapEx und größtmöglicher Flexibilität bzw. Wiederverwendbarkeit der Anlagen zu finden. Es geht also nicht darum, eine Maschine zu kaufen, die alles kann, sondern ein Setting zu schaffen, das es erlaubt, die Linien und Anlagen, in die investiert wurde, bei Bedarf auch in anderen Kontexten – z.B. im Werksverbund – zu nutzen. Das bedeutet wiederum, dass man möglicherweise mehr CapEx tragen muss, um diese Mehrfachnutzung zu erreichen. 

Die entscheidende Frage ist: Wer trägt diese Mehrkosten? Denn während eine solche Investition aus Sicht des Gesamtunternehmens sinnvoll sein kann, bedeutet sie für das einzelne Werk im Zweifelsfall einen finanziellen Nachteil, insbesondere dann, wenn es selbst nicht von der Mehrfachnutzung der Maschine profitiert. Hier besteht also die Problematik zwischen lokalem und globalem Optimum. 

 

DIALOG: Wie kann eine Lösung aussehen?

AH: In Zukunft wird es vermehrt Modelle geben, bei denen Unternehmen bestimmte Anlagen oder Anlagentypen gar nicht mehr selbst besitzen, sondern im Rahmen von Miet- oder Betreibermodellen nutzen. Dabei werden einzelne Stationen innerhalb der eigenen Fertigung an Dienstleister ausgelagert, die unter Vorgabe definierter Rahmenbedingungen und Qualitätsanforderungen einzelne Fertigungsschritte übernehmen und pro Teil oder pro Stunde abgerechnet werden. Analog zur Kontraktlogistik entstehen den Unternehmen keine CapEx-Belastungen, sondern die Leistungen werden als operative Kosten behandelt.

 

DIALOG: Kauft man sich durch die Flexibilität, keine eigenen Anlagen betreiben zu müssen, nicht neue Abhängigkeiten ein?

AH: Natürlich, aber die entscheidende Frage ist doch: An welcher Stelle kauft man sich diese Abhängigkeiten ein? Mit Sicherheit wird es immer gewisse Kernleistungsbereiche geben, die so differenzierend und wertstiftend sind, dass man sie nicht abgibt und weiterhin die dazugehörigen Maschinen und Fertigungstechnologien besitzen möchte. Daneben wird es aber vermutlich Teile der Produktion geben, für die es sinnvoll sein kann, sie an jemanden zu übergeben, der diese Art von Fertigungsleistung aus bestimmten Gründen besser bedienen kann, besser bilanzieren oder besser flexibilisieren kann. 

 

DIALOG: Also eine Art Contract Manufacturing für bestimmte Teile der Produktion. Ist die deutsche Industrie schon bereit für diese Art von Modell?

AH: Das wird sicherlich in vielen Fällen kritisch gesehen. In Deutschland ist die Vorstellung, Dinge besitzen zu müssen, noch sehr stark verankert. Nicht nur in der Industrie, auch gesamtgesellschaftlich. Das sieht in anderen Regionen der Welt ganz anders aus, wie man etwa am Beispiel Apple und Foxconn sieht. Insofern rührt die aktuelle Fokussierung auf eine CapEx-Reduktion hierzulande wahrscheinlich auch daher, dass man jahrelang nicht darauf geschaut hat, wie eine optimale CapEx-Balance aussehen kann, sondern jedes Werk in eigene Linien investiert hat, anstatt flexibel über das gesamte Produktionsnetzwerk hinweg zu planen. Hier sollte man also auch ansetzen, wenn man über die Möglichkeiten zur CapEx-Optimierung spricht.

 

DIALOG: Durch eine CapEx-Reduktion wird Kapital freigesetzt. Ist das in der aktuellen Situation angesichts weltweit hoher Inflationsraten überhaupt sinnvoll?

AH: Wir sehen im Moment eher das Problem, dass zu wenig Geld für Investitionen vorhanden ist, um wichtige Transformationsvorhaben voranzutreiben. Jeder Euro, der durch eine CapEx-Reduktion frei wird, auch wenn er nachher nur 0,96 Euro wert ist, kann für Maßnahmen eingesetzt werden, die man sonst nicht hätte machen können. Und sei es nur, um den Profit zu erhöhen.

Hinzu kommt: In manchen Bereichen kann man heute froh sein, wenn man überhaupt Maschinen bekommt. Bei Maschinen für Batteriefabriken z.B. gibt es derzeit nicht genug Angebot am Markt, um die Nachfrage bedienen zu können, d.h., neben Rohstoffen und Materialien sind auch Maschinen knapp. Unternehmen sind daher bereit, mehr Geld in die Hand zu nehmen, um sich knappe Ressourcen zu sichern – auch wenn dies mit höheren Investitionskosten verbunden ist. Insofern lohnt sich auch hier eine differenziertere CapEx-Betrachtung über die reine Reduktion hinaus.

Interview-Partner


Andrés Hernández, Vice President & Industry Lead Automotive, ROI-EFESO


Andrés Hernández verfügt über mehr als 23 Jahre Erfahrung in internationalen Führungspositionen verschiedener Unternehmensberatungen. Seine Beratungsschwerpunkte liegen auf Strategie- und Digitalisierungsprojekten in den Bereich Transformation, Nachhaltigkeit/Kreislaufwirtschaft, Product Compliance, Engineering Effectivenes sowie Krisenmanagement.