Nachhaltigkeit ist zu einem wesentlichen Faktor bei Investitionsentscheidungen von Chemieunternehmen geworden

Gespräch mit Fernando Cruzado, Vice President & Industry Lead Chemicals, ROI-EFESO


DIALOG: Welche Bedeutung hat das Thema CapEx-Optimierung für Chemieunternehmen?

FC: Investitionsentscheidungen in der chemischen Industrie sind per se eher langfristig ausgerichtet. Das liegt zum einen an der Komplexität und den langen Planungs- und Realisierungszeiten für den Bau von Anlagen, zum anderen an der Höhe der damit verbundenen Investitionskosten. Für die Unternehmen stehen daher häufig eher die Total Cost of Ownership (TCO) im Vordergrund, in die auch Umfeldfaktoren wie industriepolitische Anreize, langfristige Energiekostenerwartungen oder verfügbare Skill Sets am geplanten Standort einfließen. Gleichzeitig sind Chemieunternehmen häufig in sehr unterschiedlichen Marktumfeldern gleichzeitig tätig, die eine jeweils andere Schwerpunktsetzung und Abwägung von OpEx und CapEx erfordern.

 

DIALOG: Welche grundsätzlichen Strategien lassen sich dabei beobachten?

FC: Natürlich wird es das Bestreben jedes Unternehmens sein, CapEx-Mittel möglichst zu optimieren und effektiv einzusetzen. Hinsichtlich der Schwerpunktsetzung lassen sich unserer Erfahrung nach drei Grundmuster unterscheiden, die jeweils von einer anderen Marktlogik geprägt sind: Je stabiler und langfristig planbarer z.B. ein Markt ist, desto weniger fallen die anfänglichen Investitionskosten im Vergleich zu den laufenden Kosten für die Profitabilität des Geschäftsfelds ins Gewicht. Unternehmen, die in solchen Marktumfeldern tätig sind, werden daher eher bereit sein, höhere Investitionskosten zugunsten einer besseren Wartbarkeit und geringeren Instandhaltungskosten ihrer Anlagen in Kauf zu nehmen. Umgekehrt werden Unternehmen in eher unsicheren oder kostensensitiven Marktumfeldern versuchen, die CapEx zu reduzieren, um überhaupt Investitionen in neue Anlagen oder Prozesse tätigen zu können, auch wenn sie sich damit zum Teil höhere Maintenance-Kosten erkaufen. Und schließlich gibt es Bereiche, in denen die Geschwindigkeit, mit der ein Unternehmen ein Produkt auf den Markt bringen und damit Marktanteile sichern kann, entscheidend ist – und weniger die Höhe der anfänglichen Investitionskosten. Beispiele für ein solches agilitätsgetriebenes Marktumfeld haben wir während der Corona-Krise erlebt, als Geschwindigkeit das Gebot der Stunde war. 

 

DIALOG: Mit Ausnahme dieser „Winner takes it all“-Märkte geht es also vor allem um den Trade-off zwischen Anfangsinvestitionen im Engineering und den Kosten für den Betrieb der Anlagen. Welche Faktoren sollten dabei im Sinne einer umfassenden TCO-Betrachtung berücksichtigt werden?

FC: In der Vergangenheit wurde meist sehr eng auf die Finanzkennzahlen geschaut. Heute findet eine wesentlich umfassendere Betrachtung statt. Dazu gehören neben den tatsächlichen laufenden Kosten für Instandhaltung oder Bedienbarkeit zunehmend auch Nachhaltigkeitsaspekte wie die Energieeffizienz oder der CO2-Ausstoß von Anlagen, die in Form von Sustainability-Koeffizienten oder eines Scoring in die Bewertung von Investitionskosten einfließen. 

Das heißt, durch die Quantifizierung dieser Umfeldfaktoren, die in der Vergangenheit weniger berücksichtigt wurden bzw. gar nicht kalkulierbar waren, kann nun ein gewisser Ausgleich geschaffen werden, um höhere CapEx für Investitionen in nachhaltigere Strukturen rechtfertigen zu können. Mit anderen Worten: Nachhaltigkeit ist zu einem wesentlichen Faktor bei Investitionsentscheidungen von Chemieunternehmen geworden. In einigen Unternehmen ist der Zugang zu CapEx-Mitteln sogar strikt an Beiträge zu Nachhaltigkeitszielen gebunden.

 

DIALOG: Welche Hebel gibt es für Unternehmen in der Chemieindus-trie, um Kosten im CapEx-Umfeld direkt zu beeinflussen?

FC: Beim Neubau oder der Erweiterung von Anlagen gibt es verschiedene Ansatzpunkte für die CapEx-Reduzierung. Entscheidend für eine effektive Optimierung ist, dass die Engineering Teams bereit sind, Dinge aktiv zu hinterfragen. Typischerweise erfolgt das im Rahmen von Cost-down-Workshops, in denen man ausgehend von den Spezifikationen prüft, wie eine Minimallösung aussehen könnte, um so herauszufinden, was an dieser Stelle tatsächlich funktional, sinnvoll und notwendig ist. Das betrifft sowohl die richtige Dimensionierung der Anlagen als auch die Spezifizierung der Anforderungen. Weitere Ansatzpunkte ergeben sich typischerweise überall dort, wo von „außen“ Anforderungen in den Engineering-Prozess eingebracht werden, bspw. im Safety-Bereich.

Es kann keine Kompromisse bei sicherheitskritischen Elementen geben. Gleichzeitig bedarf es einer pragmatischen Übersetzung der Sicherheitsanforderungen im Anlagendesign – mit der Zielsetzung, sichere und betreibbare Anlagen zu konzipieren. Darüber hinaus bestehen Potenziale in der eigentlichen Ausführung wie auch im Cost Engineering, d.h. dem detaillierten Hinterfragen und Benchmarking von Kostenstrukturen. Gerade Letzteres ist in der Chemieindustrie verglichen mit anderen Branchen weniger ausgeprägt, da der Fokus darauf liegt, funktionierende Anlagen zeitgerecht zu liefern.

 

DIALOG: Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung? 

FC: Digitale Technologien können helfen, Investitionen abzusichern, indem die Auswirkungen bestimmter Maßnahmen digital simuliert werden, bevor Investitionen in die physische Infrastruktur oder die Anpassung eines chemischen Prozesses getätigt werden. Dies betrifft zum einen die Verfahrenstechnik, wo mithilfe eines Digital Twin die Auswirkungen bestimmter Parameteränderungen wie Druck oder Temperatur auf die chemische Reaktion durchgespielt werden können. Zum anderen können 3D-Modelle im Rahmen der Anlagenplanung eingesetzt werden, um neben Verfahrenstechnikern und Anlageningenieuren auch Vertreter des Shopfloor frühzeitig in den Planungsprozess einzubinden und Planungsfehler bereits in diesem Stadium zu erkennen, anstatt sie später unter hohem CapEx-Einsatz korrigieren zu müssen.

Interview-Partner

Fernando Cruzado, Vice President & Industry Lead Chemicals, ROI-EFESO


In seiner mehr als 20-jährigen Beratungstätigkeit leitete Fernando Cruzado zahlreiche Transformationsprogramme in Branchen wie der Chemie- und Prozessindustrie. Er verfügt über fundierte Erfahrung im Aufbau und Management globaler OpEx-Programme. Seine weiteren Schwerpunktthemen sind die Organisationsentwicklung sowie die Konzeption und Umsetzung von Industrial Footprint-Netzwerken.