Global Footprint revisited

Wie Unternehmen ihren bestehenden mit dem erforderlichen Footprint in Einklang bringen

„Nicht die Dinge ändern sich, wir ändern uns.“ Der amerikanische Schriftsteller, Einsiedler und Philosoph Henry David Thoreau hätte dem etablierten Change Management anno 2017 mit seinen Ansichten gehörig die Suppe versalzen können. Denn die Dinge sind es doch, die im Fluss sind. Wir erkennen die Veränderungen und führen die notwendigen Anpassungen, Adaptionen mit harter und entschlossener Hand durch. Problem erkannt, Problem gebannt. Oder? Oder auch nicht.


Die Dinge ändern sich

Natürlich ändern sich die Dinge. Erst recht im globalen Wertschöpfungsmanagement. Die geografische Verschiebung von Märkten geschieht so unmerklich und unaufhaltsam wie die der Kontinentalplatten. Kunden fordern von ihren Lieferanten eine globale Präsenz ein und verstärken diese Forderung mit der „Welt-Vergabe“ von Projekten. Die Wettbewerber verändern ihre Geschäftsmodelle und preisaggressive Player dringen in Komfortzonen vor, die plötzlich sehr unkomfortabel werden. Wechselkurse reagieren auf Immobilienblasen und instabile Volkswirtschaften und impulsive Politiker und Volksbewegungen führen zu veränderten Einfuhr-, Zoll- und Steuerregularien oder auch gleich zum Rausstolpern aus Wirtschaftsgemeinschaften. Technologiesprünge sorgen dafür, dass vorher heiß begehrte Rohstoffe und gefeierte Lieferanten-Stars plötzlich wie Remittenden in den Regalen verstauben. Wie gesagt, die Dinge ändern sich.


Wir ändern uns

Aber eben nicht nur. Als Unternehmer kommen wir – Gott sei Dank! – öfter auf die Idee, die Dinge mal anders zu sehen – selbst wenn sie objektiv gleich bleiben. Zum Beispiel wenn unsere Wachstumsstrategie nicht greift und die Ergebnisse unbefriedigend sind. Oder wenn neue Märkte erschlossen werden und Entwicklung und Einkauf endlich global denken und agieren. Eine Neubewertung des Bestands ergibt sich auch, wenn Akquisitionen integriert oder neue Produkte und Services eingeführt werden sollen. Und nicht zuletzt kommt irgendwann der Punkt, an dem die historisch gewachsenen Werks- und Distributionsstrukturen sowie „Altlasten“ aus kostengetriebenen Verlagerungen der Vergangenheit so wehtun, dass das Thema bereinigt werden muss.

The Roots of the Mismatch

Ob nun wir uns ändern oder die Dinge am Ende entsteht eine Situation, in der der bestehende und der erforderliche Footprint nicht deckungsgleich sind. Dieser „Mismatch“ lässt sich anhand mehrerer Dimensionen analysieren.

So kann zum Beispiel die Wettbewerbsposition in Ungleichgewicht geraten, was sich beispielsweise in unzureichender lokaler Präsenz, zu langen oder zu unflexiblen Lieferzeiten, in hohen Supply-Chain-Risiken oder im spürbar zunehmenden Preisdruck äußert. Oder man erkennt ein strukturelles Kostenproblem, bedingt durch weltweite Überkapazitäten, steigende Materialkostenanteile, hohe fixe und indirekte Kosten oder Währungsrisiken. Schon deutlich komplexer ist die Erkenntnis, dass die Operations-Strategie nicht mehr angemessen oder die notwendige Transparenz nicht gewährleistet ist. Dies macht sich beispielsweise dadurch bemerkbar, dass die Rolle der Werke im Verbund nicht klar definiert ist, weder eine abgestimmte Investitionsstrategie noch übergreifende Standards und einheitliche KPIs existieren und man keinen Überblick über die globale Auslastung zu gewinnen vermag.

Wenige Dinge sind so komplex und wenige Veränderungen so riskant wie eine Neustrukturierung des Global Footprint.

Spätestens wenn mehrere dieser Faktoren zusammenkommen und nicht nur die Agenda, sondern auch die schlaflosen Nächte des Managements zu beherrschen beginnen, ist Handeln angeraten. Doch das ist leichter gesagt als getan – wenige Dinge sind so komplex und wenige Veränderungen so riskant wie eine Neustrukturierung des Global Footprint. Hilfreich ist dabei die analytisch stringente und umsetzungsorientierte Betrachtung der wesentlichen Gestaltungselemente, die sich in die Bereiche „Netzwerkkonfiguration“ und „Netzwerkkoordination“ unterteilen lassen.

Netzwerkkonfiguration

Bei der Betrachtung der Konfiguration eines globalen Netzwerks stehen typischerweise vier zentrale Elemente im Vordergrund: die Lieferanten, die Produktion, die Supply Chain und die Entwicklung. Zusammengenommen haben sie einen überragenden Einfluss auf den Zuschnitt des Footprint.

Bei der Betrachtung der Lieferantenstruktur bilden dabei das Austarieren von Local und Global Sourcing, das globale Qualitäts- und Materialgruppenmanagement und die Beschaffungsorganisation die wichtigsten Hebel. In der Produktion sind es insbesondere die Anzahl, Standorte und Rolle der Werke, die Betrachtung der Kapazitäten und Technologien sowie die Produktionssysteme. Beim Blick auf die Supply Chain müssen die Verteil- und Servicecenter, die Bestandsoptimierung sowie Planungs- und Steuerungsaspekte stark berücksichtigt werden. Schließlich gilt es, in der Entwicklung Fragen nach der Organisation der lokalen Anpassung, der Trennung von Prototyp und Serie sowie der Anlauforganisation zu beantworten.


Netzwerkkoordination

Die Netzwerkkoordination fokussiert sich vor allem auf die Themen Organisation und Kooperation. Im Organisationsbereich stehen dabei vor allem Fragen im Vordergrund, die gerade in heterogenen, verteilten Strukturen von besonderer Relevanz sind: Wie lässt sich ein effektives Führungssystem etablieren? Wie die Balance zwischen Zentralisierung und Standardisierung auf der einen und Dezentralisierung auf der anderen Seite finden? Mit diesen Problemstellungen korrespondiert unmittelbar die Gestaltung der Kooperation und Kommunikation im Netzwerk – insbesondere, wenn es um solche Themen wie Best-Practice-Sharing, Ressourcenaustausch und internes Benchmarking geht. Und nicht zuletzt gilt es, die Struktur durch stabile und performante IT-Systeme, verbindliche Prozessmodelle und natürlich auch eine konsequente Digitalisierung zu stützen.
 

Step by Step zum neuen Global Footprint

So unterschiedlich die Anforderungen in einem Footprint-Projekt sein können, so wichtig ist der Versuch, zumindest auf der Strategieebene einheitliche Gestaltungsrichtlinien zu definieren. Denn schafft man keine „stabilen methodischen Zonen“, hat man es schnell mit einem kaum beherrschbaren Mobile zu tun – einem Drahtgeflecht, an dem statt Spielzeugen ganze Werke hängen. Zentral sind dabei die Ableitung der Operations-Footprint-Strategie aus der Unternehmensstrategie, den Marktanforderungen und den Potenzialen der aktuellen Struktur sowie die Definition zukünftiger Kompetenzen, Wertschöpfungsketten und Standorte. Auf dieser Basis werden alternative Szenarien entwickelt und bewertet, um eine Grundlage für die Design- Phase zu schaffen. Hier gilt es nun, die Anzahl, Lage und Rolle der Werke festzulegen, die integrierte Anpassung der Zuliefer-, Distributions- und Servicestrukturen vorzunehmen sowie die Schnittstellen zu den anderen Unternehmensbereichen zu definieren.

Erfolgsfaktoren

Was sind in diesem komplexen und durchaus politischen Prozess die Erfolgsfaktoren? Unsere Projekterfahrung zeigt, dass sich diese in drei Kategorien zusammenfassen lassen. So ist es – erstens – zwingend notwendig, klare Planungsleitplanken zu setzen. Auf diese Weise lassen sich kritische Fragen wie beispielsweise Werkskonsolidierungen, Verlagerungen mit dem Auf- und Abbau von Personal sowie die Förderung des internen Wettbewerbs der Werke (oder der Verzicht darauf!) effektiv bearbeiten, ohne dass der Prozess mit fremden Themen überfrachtet wird.

Der zweite wesentliche Aspekt ist die Methodik, insbesondere verstanden als strenge Orientierung an Markt- und Kundenbedürfnissen, absoluten Potenzialen im Gesamtsystem sowie eine ganzheitliche Bewertung eines Szenarios. Beispielhaft lassen sich hier auch weichere Faktoren wie die Langfristigkeit/Resilienz der Lösung, die Umsetzbarkeit in der Mannschaft und das Risikopotenzial nennen.

Die dritte und letzte Kategorie ist schließlich das Projekt- und Change Management – ein vorgeblich weiches und oft unbequemes Thema, das nur zu oft unterschätzt wird oder auch einfach unter die Räder gerät. Doch wer es versäumt, sich mit großer Sensibilität den den Ängsten der Werke und Mitarbeiter zu stellen sowie die wichtigsten Stakeholder aus den Regionen einzubinden, wird wenig erreichen. Wer nicht ausreichend Ressourcen und Management Attention auf den Prozess konzentriert und keine starke Projektorganisation mit einem neutralen, weltweit akzeptierten Projektleiter an der Spitze aufbaut, wird sich in inhaltlicher und politischer Komplexität verheddern.

Das mit dem Change ist nämlich so eine Sache. Es reicht eben nicht, nur die Dinge zu ändern. Sondern es geht auch darum, die Mannschaft mitzunehmen.

 

Schafft man keine „stabilen methodischen Zonen“, hat man es schnell mit einem kaum beherrschbaren Mobile zu tun.