„Der wichtigste Vorteil liegt in der Transparenz“
Interview mit Thomas Kreuzer, Project Manager, Head of Corporate Industrial Engineering, Balluff GmbH
DIALOG: Herr Kreuzer, Sie haben die Durchlaufzeiten in Ihrer Fertigungslinie für induktive Sensoren auf drei Tage reduziert. Bei über 1.000 unterschiedlichen Produkttypen und einer Stückzahl von 300.000 gefertigten Sensoren im Jahr hat das einen erheblichen Effekt auf Effizienz und Produktivität. Welche Hebel waren dafür entscheidend?
TK: Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Produktvarianten haben wir zunächst mehrere prinzipiell mögliche Fertigungsansätze evaluiert – und zwar in einem offenen Verfahren. Es war uns wichtig, die für uns idealen Bausteine zu identifizieren und in einem eigenen Konzept zu kombinieren. Dabei erwiesen sich zwei Ansätze als besonders hilfreich: erstens die Liniengestaltung nach dem Prinzip des gerichteten Flusses, bei dem entsprechend der Lean-Philosophie keine Rücksprünge in den Arbeitsschritten zugelassen werden. Dies haben wir – zweitens – mit dem Werkstattprinzip kombiniert und so die einzelnen Prozessschritte in drei Sektionen unterteilt.
Dieses neue Konzept bot uns bereits eine ideale Ausgangsbasis: mehr Flexibilität, hohe Skalierbarkeit, Entkopplung von Arbeitsprozessen. Vor allem konnten wir aber die Umsetzung Step-by-Step und bei laufender Produktion in Angriff nehmen. Entscheidend für den Projekterfolg waren im Wesentlichen die vier Handlungsfelder unseres neuen Fertigungskonzeptes: ein neues Arbeitsplatz- und Rüstkonzept, ein flussorientiertes Layout mit Kennzeichnung der Pufferflächen, eine visuelle Steuerung der Produktionsaufträge sowie die Stabilisierung des neuen Konzepts über das Shopfloor Management.
DIALOG: Welche Schritte haben Sie konkret unternommen?
TK: Im Vordergrund stand ganz klar die konsequente Trennung von Wertschöpfung und Verschwendung.
Das betrifft einerseits Fragen, die sich bei der Gestaltung eines Fertigungsarbeitsplatzes, vor allem aus der Perspektive der 5S-Methodik, grundsätzlich stellen: Wie gestalten wir den Arbeitsplatz ideal unter ergonomischen Gesichtspunkten? Wodurch lassen sich unnötige Wege vermeiden nd welche Betriebsmittel müssen direkt am Arbeitsplatz bereitgestellt werden?
Wir haben als Basis standardisierte Arbeitsplätze eingeführt, die einen hohen Visualisierungsgrad aufweisen. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Stellflächen für alle benötigten Werkzeuge durch Foto-Platzhalter markiert wurden. Sowohl die Mitarbeiter als auch der sogenannte Linienbetreuer, in der LEAN-Terminologie auch als Hancho bezeichnet, sehen so beispielsweise sofort, welches Werkzeug oder Verbrauchsmaterial für den aufgerüsteten Arbeitsauftrag fehlt.
Dieses Prinzip wird dann konsequent bis in den kleinsten Bereich, umgesetzt: Gehen dem Mitarbeiter etwa kleinteilige Komponenten für die Montage aus, wird das am Arbeitsplatz über Kanban-Karten signalisiert; der Linienbetreuer erkennt so den Nachschubbedarf und füllt den Vorrat an Verbrauchsmaterial wieder auf. Somit wird der wertschöpfende Arbeitsvorgang nicht durch einen Weg ins Lager, das Heraussuchen der Teile etc. unterbrochen – ein einfacher Vorgang nach Kanban-Logik, der in Summe über die Linie hinweg zu großen Zeiteinsparungen führt.
Aber die Aufgaben des Linienbetreuers gehen natürlich darüber hinaus: Er bringt nicht nur gerüstete Aufträge an den Arbeitsplatz, sondern erledigt auch die logistische Verknüpfung der Arbeitsgänge zwischen den Arbeitsplätzen und erkennt Abweichungen vom definierten Standard. Außerdem nimmt er am täglichen Shopfloor-Meeting und am wöchentlichen 5S-Audit teil.
„Im Vordergrund steht die konsequente Trennung von Wertschöpfung und Verschwendung.“
DIALOG: Dem Linienbetreuer kommt also eine sowohl zentrale als auch kritische Rolle in Ihrem Konzept zu. Aber wie kann er die Linienbetreuer die Vielzahl der Details je Arbeitsplatz im Blick behalten?
TK: In der Tat sind alle Verschwendungsvorgänge in der Funktion des Linienbetreuers gebündelt. Möglich wird dies durch das Konzept des externen Rüstens, bei dem der Linienbetreuer einen Kundenauftrag mit den erforderlichen Materialien und Vorrichtungen auf einen Rüstwagen ‚aufrüstet’ und die standardisierten Arbeitsplätze mit diesem komplettiert. Der jeweilige Rüststau wird pro Arbeitsplatz über farbige Signalleuchten angezeigt. Ein weiteres Element dieses Konzepts ist die Entkopplung des Produktionsauftrags von Mitarbeiter und Arbeitsplatz, was die Fertigung nicht nur transparenter, sondern den Fertigungsdurchlauf auch wesentlich prozesssicherer macht. Die Produktionsaufträge ‚fließen’ beispielsweise bei Abwesenheit eines Kollegen – gewissermaßen personenunabhängig – im System weiter.
DIALOG: Aber dieser funktionale Aspekt genügt wahrscheinlich nicht?
TK: Nein, natürlich nicht. Das Ganze kann nur im Zusammenspiel mit der menschlichen Intelligenz und Lösungskompetenz funktionieren. Dabei steht erneut der Hancho im Fokus. Der Begriff steht im Japanischen für einen ‚Teamleiter’, der als Prozessbeobachter und Koordinator für den täglichen Verbesserungsprozess in seinem Team verantwortlich ist. Er führt mit Zielzuständen, löst mit PDCA systematisch Probleme, entwickelt und überwacht Standards. Dazu benötigt man sowohl ausgeprägte soziale als auch technische Kompetenzen. Er bildet damit ein zentrales Bindeglied zwischen den Mitarbeitern der Produktionslinie und dem Management.
DIALOG: In Verbindung mit der Neugestaltung der Arbeitsplätze haben Sie auch ein flussorientiertes Layout eingeführt. Welche Vorteile bietet es?
TK: Bei diesem Prinzip fertigen die Mitarbeiter ihre Aufträge in genau der Reihenfolge, wie der Markt dies vor- bzw. die Disposition freigibt. Im Vordergrund steht die Durchlaufzeit der Artikel. Verbesserungen an unterschiedlichen Punkten dieses Ablaufes führen in Summe zu großen Zeiteinsparungen. So sind etwa die prozessbedingten Liegezeiten gut visualisiert und leiten die Mitarbeiter zur Einhaltung der Fertigungsabfolge an.
Der wichtigste Vorteil des flussorientierten Layouts liegt vor allem in der Transparenz, die in jedem Prozessschritt geschaffen wird. Rückschritte in der Arbeitsabfolge finden nicht statt, die Arbeitsschritte sind sequenziell in eine Richtung, eben die Durchflussrichtung – angeordnet. Somit ist der Auftragsstatus für alle eindeutig sichtbar. Freie Arbeitsplätze sind transparent, Störungen im Fertigungsdurchlauf sind sofort erkennbar und veranlassen über einen definierten Prozess eine sofortige Reaktion.
Im nächsten Schritt weiten wir diese Transparenz auf weitere Fertigungsbereiche aus. Über gemeinsam definierte Kennzahlen geben wir den Führungskräften über das Shopfloor Management auch eine klare Orientierung. Hierbei ist meiner Erfahrung nach die Haltung „Probleme sind Schätze“ extrem hilfreich. Das fördert eine offene, vertrauensvolle Kommunikation, die weitere Schwachstellen im Fertigungsprozess identifiziert und schnell behebt. Dies bildet eine wichtige Basis auf dem Weg zu einer selbstlernenden Organisation.
"Die Entkopplung von Arbeitsplatz und Produktionsauftrag macht die Fertigung flexibler"
Über Balluff
1921 in Neuhausen a.d.F. gegründet, steht Balluff mit seinen 3.000 Mitarbeitern weltweit für innovative Technik, Qualität und maximale Kundenorientierung. Als führender Anbieter für die industrielle Automation bietet das Familienunternehmen ein Full-Range-Sortiment an hochwertigen Sensoren, System- und kundenspezifischen Lösungen an. Im Jahr 2014 verzeichnete die Balluff GmbH einen Umsatz von rund 324 Millionen Euro. Neben dem zentralen Firmensitz in Neuhausen auf den Fildern verfügt Balluff rund um den Globus über Produktions- und Entwicklungsstandorte und ist in 68 Ländern mit Niederlassungen und Repräsentanzen vertreten. Dies garantiert den Kunden eine schnelle weltweite Verfügbarkeit der Produkte und eine hohe Beratungs- und Servicequalität direkt vor Ort.
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