Bimodale Lieferketten
Von Dr. Wolfgang Keplinger, ROI Management Consulting AG
Logistik 4.0 wird getrieben von einem veränderten Kundenverhalten: Eine neue Generation von Digital Natives und Smarter (Grey) Usern agiert zum Teil kontinuierlich im Internet, zuweilen sogar auf mehreren Kanälen gleichzeitig. Mit ihnen hat sich auch ein digitales Konsumverhalten entwickelt, das geprägt ist vom Wunsch nach individualisierten, kurzfristig verfügbaren Produkten.
Logistik-Superstars
Diese Entwicklung hat bereits neue oder veränderte Dienstleister hervorgebracht: DHL meisterte die Wende vom Staatsbetrieb zum wettbewerbsfähigen Technologieführer, Amazon rückt(e) den Kunden in den Mittelpunkt aller Überlegungen und schuf auf dieser Basis einen neuen Logistikstandard. Und Zalando beweist sich als Weltmeister der Reverse Logistics. Was allen drei Beispielen gemeinsam ist: Sie fokussieren sich bei allen Überlegungen und Veränderungen konsequent auf den Kunden und dessen Erwartungen und richten die Logistikkette exakt an diesen aus.
Same Day Delivery
„Kundennähe“ wird dabei auch durch Echtzeitdaten über das Kaufverhalten und die Produktnutzung hergestellt. Die erbrachte Produktleistung wird nicht mehr mit der Leistungsspezifikation verglichen, sondern mit den tatsächlichen Erwartungen des Kunden. Logistische Top-Performer wollen es ihren Kunden dabei so einfach wie möglich machen: Die Lieferung am selben Tag entwickelt sich zur Lieferung innerhalb von zwei Stunden; statt per Knopfdruck bestellt der Kunde inzwischen per Sprachsteuerung eines Chatbots. Und die Zustellung an die Haustür wird von einer Übernachtlieferung in den Kofferraum des lokalisierbaren Autos oder zu einem anderen individuellen Abgabepunkt abgelöst.
Wachstum dank bimodaler Lieferketten
Diese intensive Kundenorientierung in der Lieferkette hat zu einem gravierenden Paradigmenwechsel in der Wertschöpfung der Logistikunternehmen geführt: „Funktionale Silos“ aus Vertrieb, Entwicklung und Operations sind passé, an ihre Stelle tritt bei den Logistikführern ein integriertes Management von Bedarf, Nachschub und Produktion. Nur so schaffen es z. B. die Anbieter komplexer technologischer Produkte wie Smartphones oder Tablets, bei hochfrequenten Innovationsaktivitäten jährlich neue technologische Lösungen punktgenau zur Marktreife zu bringen. Bimodale Lieferketten ermöglichen somit eine ausgezeichnete Kostenposition innerhalb einer Lieferkette. Zugleich unterstützen sie das gewünschte Wachstum durch die rasche Eroberung neuer Technologien und Märkte. Diese gleichzeitige Beherrschung von zwei unterschiedlichen Fähigkeiten – kontinuierliche Leistungssteigerung und Kostensenkung einerseits sowie Innovationen und Wachstum andererseits – ist es, was als bimodales Management von Lieferketten bezeichnet wird.
Innovationsexzellenz als neue Lieferkettenanforderung
Der neue Bestandteil dieser bimodalen Lieferkettenstrategie ist die schnelle Entwicklung und Adaption von Innovationen. Bisher war die Logistik dafür bekannt, primär den Service verbessern und die Kosten senken zu können. Doch die neuen Top-Performer überzeugen sowohl durch operative als auch durch Innovationsexzellenz. Unternehmen können von ihnen nicht nur lernen, wie man mittels bimodaler Lieferketten optimale Kundenbeziehungen herstellt. Sie sollten sich zudem an den Best-Practice-Methoden der Marktführer orientieren, um
- innerhalb kürzester Zeit neue Lieferanten aufzubauen;
- mit den bestehenden Lieferanten zu neuen Innovationen zu gelangen (Co-Innovation);
- gemeinsam mit dem Entwicklungsbereich in kürzester Zeit neue Produktgenerationen zu entwerfen und lieferfähig zu machen;
- mit HR neue Talente an Bord zu holen und die funktionsübergreifende Zusammenarbeit im Unternehmen zu organisieren;
- mit der IT neue Softwarelösungen zu erarbeiten;
- gemeinsam mit dem M&A-Bereich neue Akquisitionen rasch zu integrieren.
Die gleichzeitige Beherrschung von zwei unterschiedlichen Fähigkeiten ist es, was als bimodales Management von Lieferketten bezeichnet wird.
Wenn das Paket den Empfänger findet
Diese Innovationsperspektive darf keine lästige Pflichtaufgabe sein, sie sollte tief in der DNA des Unternehmens verankert werden. Denn die Kunden, die Wettbewerber oder die technologischen Möglichkeiten sind im Zweifelsfall garantiert schon immer einen Schritt weiter als die eigene Planung. Ein Beispiel: Denkt man die Möglichkeiten von Smart Analytics weiter, so kann schon bald anhand von auf dem Smartphone gespeicherten Bewegungsdaten und Kalendereinträgen die erwartete Sendung ganz automatisch dorthin gesteuert werden, wo sich der Empfänger zum frühestmöglichen Eintreffzeitpunkt der Sendung wahrscheinlich gerade befindet. Das „logistische Uhrwerk“ tickt also ganz klar digital – und im Hinblick auf die Kundenorientierung immer schneller.