„MATERIALERSPARNIS UND MATERIAL ÄNDERUNG IN DER NÄCHSTEN DEKADE VEREINEN“
„IN DER NäCHSTEN DEKADE GEHT ES DARUM, MATERIALERSPARNIS UND MATERIALÄNDERUNG ZU VEREINEN“
Dr. Fritz Flanderka, Geschäftsführer, Reclay Holding GmbH, über Trends und Triebkräfte für eine nachhaltige Abfallwirtschaft
DIALOG: Herr Dr. Flanderka, die Kreislaufwirtschaft stellt mit deutlich steigenden Umsatz- und Beschäftigtenzahlen einen wichtigen Wirtschaftszweig Deutschlands dar. Hat das Modell Potenzial für einen weltweiten Erfolg?
FF: Generell halte ich den Wechsel von der Linear- zur Kreislaufwirtschaft für alternativlos, um zwei der größten Herausforderungen unserer Zeit zu lösen: Das ist zum einen die globale CO₂-Reduktion im Kontext des Klimawandels. Zum anderen muss sich die Abfallwirtschaft weiterentwickeln, insbesondere beim Thema Plastik, um endlich signifikante Fortschritte im Kampf gegen die Meeresverschmutzung zu erreichen. Unser Modell der Kreislaufwirtschaft ist sicherlich nicht 1:1 auf andere Länder übertragbar. Die Ausgangsbedingungen sind sehr unterschiedlich; zudem sprechen wir von einem komplexen Prozess, der sich mit vielen Akteuren und hoher Dynamik ständig weiterentwickelt. Aber unsere Erfahrungswerte sind bei einer Transformation in Richtung Nachhaltigkeit durchaus wertvoll – ganz besonders bei der Abfallwirtschaft und beim Recycling, denn hier haben wir seit gut drei Jahrzehnten Kompetenzen aufgebaut.
DIALOG: Wie sehr sind andere Länder an diesem Know-how interessiert? Vor allem bevölkerungsreiche und wirtschaftlich starke Nationen wie die USA oder China haben doch bislang eine nachhaltig ausgerichtete Abfallwirtschaft schlichtweg abgelehnt?
FF: Richtig – bislang! Das ändert sich derzeit gravierend. Wir beobachten z.B. weltweit eine Trendwende hin zu differenzierten Abfallerfassungssystemen. Hier lässt sich anschließend eine entsprechende Wertschöpfung ansetzen – oder die Betreiber können zumindest die deponierten Abfälle reduzieren. Hinzu kommt ein Bewusstseinswandel hinsichtlich der getrennten Erfassung von Abfällen: Das Prinzip bzw. die Idee, die wir in Deutschland mit dem „Grünen Punkt“ entwickelt haben, wird in der EU, aber auch in vielen US-Bundesstaaten oder in Asien gesellschaftlich wahrgenommen, diskutiert und aufgegriffen – mit entsprechender Auswirkung auf das Handeln der Unternehmen.
DIALOG: Es wird also mehr getan, als nur dem Unternehmensimage einen „grünen“ Anstrich zu verpassen?
FF: Ich denke, die meisten Unternehmen kennen das Risiko einer solchen Strategie. Zudem setzen in der EU gesetzliche Vorgaben inzwischen ein paar klare Leitlinien für nachhaltiges Wirtschaften. Und das wird auch motiviert aufgegriffen. Wenn wir uns z.B. den Umgang mit Verpackungen anschauen, gibt es hierzulande drei wesentliche Trends: Erstens ein starkes Interesse daran, deren Produktion generell zu reduzieren. Zweitens durch das Produktdesign erhebliche Materialeinsparungen zu erreichen, insbesondere bei Verbrauchsgütern wie Getränkedosen oder Joghurtbechern. In den vergangenen zehn Jahren gab es hier enorme Fortschritte, das Potenzial ist aber längst nicht ausgeschöpft. In der nächsten Dekade wird es darum gehen, Materialersparnisse und Materialänderungen in Bereichen zu vereinen, in denen das bislang z.B. aus hygienischen Gründen nicht möglich war. Und in anderen Bereichen werden noch mehr Kunststoffverpackungen durch leichter zu recycelnde Materialien ersetzt. Der dritte Trend besteht darin, das Recycling von Kunststoffen weiter zu verbessern. Hier hat das Spiel aufgrund der neuen Recyclingvorgaben in Deutschland aber gerade erst begonnen. Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) sind z.B. relativ einfach zu recyceln, wenn man sie unverschmutzt erhält. Bei sogenannten Kunststoffverbindungen ist das viel schwieriger. Das sind meistens technische Kunststoffe, die etwa bei Hackfleisch oder anderen Frischeprodukten zum Einsatz kommen. Dieses Material ist derzeit entweder nur sehr aufwendig oder gar nicht recycelbar. Ein Lösungsweg ist, diese Kunststoffverbindungen durch reine Kunststoffe zu ersetzen, die dann mit unterschiedlichen Dichten aufgetragen werden.
DIALOG: Welche Potenziale sehen Sie in der Industrie, zukünftig einen höheren Anteil von Verpackungsmaterial durch Wiederverwendung oder Recycling in den Kreislauf zurückzuführen?
FF: Das hängt von den gefertigten Gütern und den Transportbedingungen ab. Wenn wir z.B. von hochwertigen technischen Gütern wie im Maschinen- und Anlagenbau sprechen, hat deren Schutz beim Transport Priorität. Bei der Art und Menge der ben tigten Verpackungsmaterialien ist daher zwar der Spielraum für Veränderungen schnell ausgeschöpft. Perspektivisch wird hier aber ebenfalls die Transparenz des Materialflusses, etwa im Falle eines Pfandsystems, zu Verbesserungen führen. Wesentlich mehr Optionen sehe ich in allen Bereichen, in denen Güter zum Versand im B2B-Handel zusammengelegt werden. Wer hier nachhaltiger handeln will, sollte vor allem zwei Fragestellungen beantworten: Erstens welches Material wird für welchen Zweck eingesetzt? Zweitens wo lässt sich Material ersatzlos streichen? Die Europalette ist ein Paradebeispiel dafür, wie etablierte Dinge neu durchdacht werden:
Die klassische Holzpalette splittert schnell, verformt sich, nimmt Feuchtigkeit auf und muss daher im Schnitt nach zwei bis drei Jahren repariert oder ausgetauscht werden. Eine Kunststoffpalette hat all diese Nachteile nicht und bleibt in der Regel über zehn Jahre im Umlauf – nach denen der Kunststoff dann wieder für neue Paletten verwendet werden kann.
DIALOG: Das fordert also die Kreativität der Verpackungshersteller und der Unternehmen, gemeinsam neue Lösungen zu finden …
FF: So ist es. Allerdings beruht das nicht nur auf Freiwilligkeit. Seit Kurzem müssen nicht nur die Hersteller, sondern auch die Verwender der Verpackungen neue gesetzliche Pflichten erfüllen. Wer z.B. seine Produkte an andere Abnehmer schickt, muss darauf hinweisen, dass er verpflichtet ist, diese Verpackungen auch zurückzunehmen. Neben dieser Informationspflicht ist eine Dokumentation darüber zu führen, wie dieser Verpflichtung nachgekommen wurde und in welcher Form die Materialien recycelt worden sind. Das ist keine Weltrevolution, aber es setzt die Leitlinien für die Richtung der notwendigen Veränderung.
DIALOG: Was treibt – abseits regulatorischer Vorgaben – diese Transformation zusätzlich an?
FF: Zwei Wirkkräfte sind besonders wichtig: zum einen die Kostenersparnis, zum anderen der Kundenwunsch. Kostenersparnisse motivieren ohnehin ständig dazu, Prozesse zu überdenken und neu zu bewerten. Im Zweifel wird auf überflüssige Verpackungsmaterialien verzichtet oder die Konstruktion so umgestaltet, dass man mit einfacheren Materialien das gleiche Ergebnis erzielt. Zudem haben unserer Erfahrung nach die Kundenwünsche einen hohen Stellenwert, insbesondere im deutschen Einzelhandel und dort wiederum sehr ausgeprägt bei den Discountern – dort laufen bereits große Programme zur Optimierung des Verpackungseinsatzes. Und diese Vorgaben werden an die Lieferanten weitergegeben. Zum Beispiel geben fast alle Lebensmitteldiscounter mit einem eigenen Leitfaden vor, in welcher Weise und mit welchen Materialien Produkte zu verpacken sind.