WAS MACHT ANALYTICSINITIATIVEN ERFOLGREICH?
Die Übersetzung tatsächlicher Prozessprobleme in die Analytics-Welt, der Aufbau horizontaler Datenkompetenzen und die Fähigkeit zur Skalierung und Industrialisierung von Use Cases sind kritisch für nachhaltigen Er folg und Breitenwirkung von KI-Initiativen. Interview mit Ulrich Krieg, Partner, ROI-EFESO
DIALOG: Herr Krieg, wie erleben Sie den Einstieg in das Thema Data Analytics und KI in der Praxis? In welchen Bereichen gewinnt es an Bedeutung?
UK: Momentan sehen wir das Thema häufig in SCM-Projekten, bspw. wenn es um die Optimierung der Absatzplanung geht. In diesem Umfeld – Predictive Demand Planning, Demand Sensing – bietet die intelligente Nutzung von Daten große Potenziale. Dabei versucht man, unterschiedliche Datenreservoirs zu verbinden und aus Vergangenheits-, Auftrags- und Umfelddaten genauere Bedarfsprognosen zu erzeugen. Wenn es gelingt, alle Daten, die zur Verfügung stehen, zu nutzen, lassen sich Bedarfsverläufe besser prognostizieren, die Ressourcen besser absichern sowie Lagerbestände und Lieferzeiten optimieren.
DIALOG: Wie kritisch ist dabei die Datenverfügbarkeit?
UK: Oft sind mehr Daten vorhanden, als man denkt, man kann eigentlich immer einen Anfang finden. Interessant wird es, wenn man einerseits Daten hinzuzieht, die bislang nicht in strukturierter Form vorliegen, etwa aus Kommunikationsprozessen, CRM-Systemen, vom Point of Sales, und andererseits auch externe makroökonomische Daten und Prognosen oder Branchenindizes. Die Frage, welche statistischen Daten sich nutzen lassen, diskutieren wir häufig in Projekten. So unterschiedliche Daten zu integrieren wäre in der konventionellen Welt äußerst aufwendig. Inzwischen stehen jedoch sehr gute Werkzeuge zur Verfügung, die die Arbeit mit umstrukturierten Daten enorm erleichtern.
DIALOG: Mit Data Analytics betritt man einen Bereich, in dem ein Großteil der Unternehmen wenig Erfahrung hat, auf der man aufbauen kann. Wie sorgt man dafür, dass der Einstieg gelingt?
UK: Da gibt es mehrere Faktoren. Wenn wir bei dem Beispiel mit der Bedarfsplanung bleiben, so stellen sich zunächst sehr klassische Fragen. Denn unabhängig von neuen Analytics-Möglichkeiten braucht es zunächst ein robustes Backbone für Planungsprozesse. Die Basis muss stimmen und den etablierten Methoden und Best Practices entsprechen. Dann können KI-Tools und Analytics-Lösungen darauf aufbauen. Und dann geht es darum, die Vorhaben möglichst klein zu schneiden und das Thema in kleinen Schritten, in Sprints anzugehen. Dabei geht es um den Proof of Concept, darum, Dinge auszuprobieren und auch zu verwerfen, um Erfahrungswerte zu schaffen. Das erfordert natürlich auch ein bestimmtes Mindset in der Organisation: die Bereitschaft, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, bei dem das Ergebnis nicht vollständig vorhersagbar ist, bei dem man nicht weiß, welcher Ansatz funktionieren wird. In vielen Anwendungsfällen stellt man fest, dass man nichts aus den zusammengestellten Daten lernen kann, dass der Algorithmus nichts mit dem Ergebnis anfangen kann. Dann muss man eben weitermachen.
DIALOG: Was bleibt nach einem gescheiterten Sprint?
UK: Lessons learned. Man lernt aus jedem Versuch, was funktioniert und was nicht, worauf man achten muss, welche Teilbereiche Potenzial haben. Man kann beim nächsten Versuch präziser agieren. Man sammelt Erfahrungen und schafft die Basis für künftige Projekte – auch das gehört zum Umgang mit neuen Themen. Die Kunst liegt darin, diese Lernschleifen effizient zu gestalten. In unseren Analytics-Projekten dauert es im Schnitt sechs Wochen, bis das Team belastbare Ergebnisse erreicht.
DIALOG: Wie sollte ein Projektteam zusammengesetzt sein, um die Erfolgswahrscheinlichkeit von Analytics-Initiativen zu erhöhen?
UK: Wenn wir beim Planungsbeispiel bleiben, dann müssen die Vertreter der betroffenen Bereiche involviert werden – Vertriebscontrolling, Marketing, Product Management, Supply Chain Management, IT. Sie werden unterstützt von Datenexperten. Entscheidend ist, dass die beiden Gruppen effektiv zusammenarbeiten. Bei Analytics-Projekten im Bereich Produktion ist es z.B. wichtig, dass sogenannte Citizen Data Scientists involviert werden, Prozessingenieure aus den Fachabteilungen, die über grundlegende Qualifikation im Analytics-Thema verfügen. Sie kennen einerseits ihre eigenen Prozesse genau und können andererseits die Analytics-Experten verstehen. Wenn man zu stark auf die Datenexpertise abhebt, geht man das Thema zu technisch an, analysiert große Datenmengen und kommt am Ende nicht selten zu Erkenntnissen, die trivial sind. Man braucht unbedingt die Prozessexpertise, um sich von vornherein auf die richtige Fragestellung zu konzentrieren und auf die Vorselektion der Daten, die einen Einfluss haben könnten. Ausprobieren bedeutet nicht, dass man nach der Nadel im Heuhaufen suchen darf.
Die Kunst liegt also in der Übersetzung des tatsächlichen Prozessproblems in die Analytics- Welt. Diese Brücke zwischen der Prozesswelt und der Datenwelt aufzubauen ist eine zentrale Aufgabe und es ist wichtig, die Projekte auch dafür zu nutzen, die horizontale Datenkompetenz im Unternehmen zu stärken. Die Algorithmen, die technische Umsetzung – dafür gibt es immer mehr standardisierte Tools und auch Serviceangebote auf dem Markt. Das ist nicht die Hürde, an der Initiativen scheitern.
DIALOG: Was folgt auf ein erfolgreiches Analytics-Projekt? Was ist zu tun, um auf dem Erreichten aufzubauen?
UK: Vor allem ist es wichtig, das Thema Analytics zu industrialisieren. Einmalig einen Algorithmus aufzubauen und zum Laufen zu bringen ist ein Anfang, aber keine Lösung. Denn die Prozesslandschaft entwickelt sich weiter, die Prozessparameter verändern sich. Man muss deshalb die Modelle immer wieder neu trainieren und verändern. Das erfordert einen definierten Prozess, ein professionelles Änderungsmanagement und eine Organisation, die das managt und nachhält. Leider lässt sich das Gegenteil immer wieder beobachten. Da wird eine große Analytics-Initiative gestartet, zahlreiche Use Cases identifiziert, von denen einige auch angegangen werden. Aber der Gesamtrahmen fehlt – und dann kommt kein Zug in die Organisation, die Projektvorhaben in den einzelnen Bereichen versanden, Kompetenzen werden nicht aufgebaut. Das Ergebnis ist dann ein einmaliges, ressourcenintensives Projekt ohne langfristige Wirkung. Man muss deshalb von Anfang an über die Organisation nachdenken, eine klare Governance entwickeln, den Nutzen in der Fläche demonstrieren und einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess initiieren. Erfolgreiche Initialprojekte sind auch eine Chance, um ein Umdenken zu bewirken, damit ein sich selbst tragender Prozess entsteht. Das Thema ist – wie jedes Change-Thema – zum Teil riskant und undankbar. Man muss Rollen und Verantwortungen verändern, die Art der Zusammenarbeit, was oft unangenehm ist. Und deshalb sind dann ganz besonders Weitsicht, Verantwortung und Leadership des Managements gefragt.