Produktion mit Dauerschub

Effiziente Abläufe in Fertigung und Logistik bei MTU Aero Engines

Vielflieger, Gelegenheitsreisende und Aviophobiker mag zumindest eine Sache verbinden: Mit den Worten ‚ready for take-off‘ assoziieren sie höchstwahrscheinlich das ganz spezielle Gefühl der Anspannung, wenn Flugzeugtriebwerke ihre ungeheure Beschleunigung entfalten. Zurecht, denn ein Triebwerk eines typischen Airbus-Urlaubsfliegers entwickelt während des Starts einen Schub von bis zu 147 kN und verbrennt dabei wenige Liter Kerosin pro Sekunde – ein PKW mit 120 PS schafft gerade mal 1,6 kN, mit deutlich höherem Spritverbrauch. Aber sowohl Motoren- als auch Triebwerkshersteller sind vor allem daran interessiert, bei neuen Modellen die Leistung zu steigern und gleichzeitig den Verbrauch, Schadstoffausstoß, Geräuschpegel sowie die Produktionskosten zu senken. Bei einem technisch hoch komplexen Produkt, wie einem Flugzeugtriebwerk, erreicht man das nicht nur durch Innovationen in Forschung und Entwicklung, sondern gerade auch durch effiziente Abläufe in der Logistik und Produktion. Mit genau diesem Thema sah sich der Münchener Triebwerkshersteller MTU Aero Engines konfrontiert. Anfang 2012 wurde der ‚Program Share‘ nach Verhandlungen mit dem Partnerunternehmen Pratt & Whitney (PWA) erhöht. In dieser Erhöhung war auch die Montage von 30 Prozent der PW1100G Triebwerke beinhaltet, die in Zukunft den Airbus A320neo abheben lassen sollen. MTU ist der deutsche Marktführer bei Entwicklung, Fertigung, Vertrieb und Wartung von Luftfahrtantrieben aller Schub- und Leistungsklassen. Die Montage eines zivilen Triebwerks am Standort München ist jedoch eine Premiere. Pro Jahr müssen ca. 160 bis 200 Triebwerke möglichst effizient montiert werden. Eine höchst anspruchsvolle Herausforderung für das Produktions- und Supply Chain Management, die der Triebwerkshersteller gemeinsam mit der ROI Management Consulting AG löste. In nur fünf Monaten erstellte das Projektteam entscheidungsreife Varianten für ein Konzept zur Triebwerksmontage, das alle Stationen der Supply Chain und einer neuen Linienproduktion berücksichtigt.

Startphase: Checkliste für die Montage

Ähnlich wie bei einem perfekten Flugverlauf sollen die Abläufe der Montage vor allem effizient sein. Das Projektteam musste daher Optionen für ein Montagekonzept ausarbeiten, die ein möglichst flexibles und reibungsloses Zusammenspiel der unterschiedlichen Fertigungsschritte und -beteiligten sicherstellen. Dabei waren (Prozess-) Layout, Taktung, Logistik, Transportsysteme, Qualitätssicherung, Montagesteuerung/Disposition und die Arbeitsorganisation zu berücksichtigen. Zudem musste das Team die Rahmenbedingungen für mögliche Zulieferer untersuchen und abschließend eine Handlungsempfehlung mit einem Plan für den Projektablauf und die Umsetzungskosten vorlegen.

„Anspruchsvolle Ziele: Ein flexibles Montagekonzept trotz hoher Produktkomplexität und minimaler Bestände.“

Zwei Ausgangsbedingungen machten diese Aufgabe besonders anspruchsvoll: Erstens setzt die hohe Komplexität des Produktes – ein Triebwerk besteht aus über 5.000 Einzelteilen – enge Grenzen für Konzeptvarianten. Zweitens sollte jede Variante einen minimalen Montageaufwand mit minimalen Beständen wirtschaftlich erreichbar machen und dabei eine Liefertreue von 95 Prozent seitens der Zulieferer und der beteiligten Standorte sicherstellen. Speziell bei der Triebwerksfertigung ist das nicht nur aufgrund der Anzahl der Teile bzw. Komponenten ein sehr sportliches Ziel. Die Vorgabe geringer Lagerbestände ist aufgrund der hohen Teilekosten nachvollziehbar; gleichzeitig gibt es aber keine Reparatur- oder Ersatzmöglichkeiten wie in der Automobilfertigung. Denn jeder Komponentenhersteller ist zertifiziert und muss extrem hohe Qualitätsstandards erfüllen; fällt ein Zulieferer aus, gibt es nur wenige Ausweichmöglichkeiten. Besteht ein Bauteil die vorgelagerten Überprüfungen bei MTU nicht, muss es außerdem zur Reparatur zurück zum Hersteller.

„Die Zuliefererkoordination mit der Montage in München ist an sich schon eine echte Herausforderung – sie wird aber durch die Vorgabe der vollständigen Montage an nur einem Standort besonders anspruchsvoll. Denn die ganze Planung, Disposition, Steuerung und Beschaffung läuft weiterhin über die PWA, während wir in München ausschließlich für die Montage und den Prüflauf des Triebwerks verantwortlich sind“, sagt Elmar Stichlmair, Consultant Engineering Montage zivile Programme und Projektleiter bei der MTU Aero Engines. „Das erfordert eine besonders hohe Flexibilität und Effektivität von den Fertigungsteams.“ 

Gleitflug: Handlungssicherheit durch klare Strukturen 

Das Projektteam identifizierte schnell zwei zentrale Ansatzpunkte für ein ideales Montagekonzept. Erstens die Montageabwicklung über eine Fließfertigung und, zweitens, die genaue Analyse aller Montageprozesse und -strukturen. „Wir haben sehr genau darüber nachgedacht, ob eine Dockmontage, also Einzelplatzfertigung, für Triebwerke sinnvoll ist“, erklärt Elmar Stichlmair. „Denn im Gegensatz zur Fließfertigung gibt es bei der Dockmontage keine genaue zeitliche Koordination der Teilarbeitsgänge untereinander. Letztendlich gefiel uns eine feste Anordnung bzw. Verbindung der Vor- und Hauptmontageplätze über ein ‚Fischgräten‘-System am besten. Dabei sind fünf Vormontagestationen für Komponenten seitlich an fünf Hauptmontageplätzen angeordnet, an denen das Triebwerk sukzessive fertig gestellt wird. Eine Vormontagestation versieht zum Beispiel den Fan-Hub mit den Schaufeln, wuchtet ihn aus und gibt ihn dann in der entsprechenden Sequenz weiter. Mit diesem manuellen System können wir nicht nur kostengünstig produzieren, sondern auch sehr flexibel auf steigende oder sinkende Auftragsvolumina reagieren.“ Das Projektteam gelangte mit unterschiedlichen Analysen zu diesem Lösungsansatz: Es unterteilte den gesamten Montageprozess in seine strukturellen Bestandteile, um in allen Abläufen möglichst viele Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Dabei wurde nicht nur die hochkomplexe Produktstruktur unter die Lupe genommen. „Für einen perfekten Fertigungsablauf ist bei uns der Zeitfaktor ausschlaggebend. Daher haben wir mit der ROI-Operationsfolge-Methode, kurz ROM®, Best-Practice Montagezeiten ermittelt“, sagt Stichlmair. „Hierbei spielte die Gestaltung der Montagestruktur nach dem ‚Fischgräten‘- Prinzip eine zentrale Rolle. Denn sie ermöglicht uns nicht nur eine genaue Definition der Arbeitsmethoden oder der Abtaktung – wir können auch jederzeit ganz eindeutig den Fertigungsstand des Triebwerkes erkennen, was bei Einzelstationen nicht der Fall wäre. Das senkt mögliche Zeitverluste durch Fehleranalysen immens und verhindert, dass der ganze Fertigungsablauf aufgrund einer einzelnen Montagestation zum Stillstand kommt.“ 

Punktlandung: Lerneffekte durch reale Simulation

Das Prinzip der klaren Strukturen gilt für die Arbeitsabläufe und die Rahmenbedingungen der Fertigung. So dürfen keine Gerätschaften und kein Material Platz an den Montagestationen beanspruchen, wenn die Mitarbeiter sie nicht für die Arbeit benötigen. Die Materialbereitstellung erfolgt deswegen über eine nahe Logistikfläche hauptsächlich von außen, der Nachschub wird über Leerbehälter angestoßen. Das Anbringen zum Montieren benötigter Hebegeschirre an fertigen Modulen bzw. einzelner Komponenten erfolgt ebenfalls auf dieser Fläche, um die eigentliche Produktion nicht zu stören. „Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Das Konzept zeigt schon jetzt, dass eine kurze und effiziente Montagezeit absolut machbar sein wird. Positiv ist auch der geringe Flächenbedarf von 1.400m², hier hatten wir zuerst 400m² mehr eingeplant. Diese Resultate haben wir aber nicht in der Theorie, sondern sehr anschaulich mit einem 3P (Production Preparation Process) Workshop ermittelt. Hierbei bauten wir die Montagestationen inklusive eines Triebwerkes im Maßstab 1:1 mittels Kartonagen nach – eine ideale Methode, um mit allen beteiligten Mitarbeitern konkrete Arbeitsabläufe, Platzbedarfe und Wegstrecken zu simulieren. Die guten Impulse des Konzeptes werden auch in ein Anschlussprojekt einfließen, in dem wir ein neues Prüfstandkonzept zur Auf-/Abrüstung und Kontrolle von Triebwerken aufbauen“, resümiert Stichlmair.

„Die Gestaltung der Montage nach dem ‚Fischgräten‘-Prinzip spielt eine zentrale Rolle für den Fertigungsablauf.“

MTU Aero Engines AG

Die MTU Aero Engines AG (MTU) ist der führende deutsche Triebwerkshersteller. Das Unternehmen entwickelt, fertigt, vertreibt und betreut zivile und militärische Luftfahrtantriebe aller Schub- und Leistungsklassen sowie stationäre Industriegasturbinen. MTU beschäftigt rund 8.500 Mitarbeiter und ist mit Tochtergesellschaften weltweit in allen wichtigen Regionen und Märkten präsent.
www.mtu.de