SPRACHKURS FÜR STAHLTRÄGER

Ein Gespräch mit Bengt Hergart, Property Director der Öresundbrücke, über smarte Technologien, die zwei Staaten miteinander verbinden.
 

Beton kann zauberhaft sein – etwa in diesem speziellen Moment, wenn das Sonnenlicht durch einen bedeckten Himmel auf die Pylone der Öresundbrücke fällt und sich im glitzernden Meer darunter spiegelt. Auch wenn schwere Regenwolken das gigantische Bauwerk umhüllen, sind einzigartige Naturschauspiele für Reisende zwischen Dänemark und Schweden garantiert.
Für das Wartungs- und Sicherheitsmanagement der längsten Schrägseilbrücke der Welt mit kombiniertem Straßen- und Schienenverkehr stellen die Witterungsbedingungen, das Salzwasser und der Verkehr allerdings in erster Linie potenzielle Risiken dar. Eine spezielle IoT-Lösung sorgt dafür, dass die Instandhaltung effizient und schnell vonstattengeht.

 

DIALOG: Herr Hergart, die Öresundbrücke ist mehr als nur eine Brücke – die gesamte Anlage umfasst Straßen, Schienen, einen Tunnel, Mautstellen und sogar eine künstliche Insel. Das erfordert vermutlich logistische Meisterleistungen von Ihrem Wartungsteam?


BH: Generell wollen wir vermeiden, dass die Mitarbeiter ständig unterwegs sind und spontan auf Schadensmeldungen reagieren müssen. Intelligente Planung ist für uns daher sehr wichtig. Denn sie sorgt für eine effizientere Instandhaltung, nicht nur in Bezug auf die Logistik. Der Schlüssel dazu ist eine datenbasierte Instandhaltungsstrategie, die aber viel schwieriger zu konzipieren und in die Praxis zu übertragen ist als in anderen öffentlichen Einrichtungen oder Industriegebäuden.

Ursprünglich beruhten die meisten unserer Wartungsaktivitäten auf einer Planung nach dem Kalender: Man prüft, repariert oder macht etwas anderes einmal pro Monat, pro Quartal oder pro Jahr – aber es ist nie sicher, dass die Instandhaltungsmaßnahmen auch wirklich in dieser Häufigkeit durchgeführt werden. Besser, man kennt den tatsächlichen Zustand der Brücke und der weiteren Anlagen des gesamten Areals.

Daher lautet unsere Strategie, die kalenderbasierte durch eine zustandsorientierte Instandhaltung abzulösen. Diese nutzen wir bereits heute an einigen Stellen. Aber die meisten Vor-Ort-Inspektionen nehmen noch immer Mitarbeiter vor, etwa bei der Kontrolle der Gleise und Bahnanlagen. Instandhaltungsmaßnahmen werden dann bei Bedarf gestartet. Unser Ziel für die gesamte Anlage ist es, solche Prozesse schrittweise auf die zustandsorientierte Instandhaltung umzustellen. Hierbei ist uns ein richtig getimter Ressourceneinsatz ebenso wichtig wie eine konstante Laufzeit der Assets.

 

DIALOG: Da es nirgendwo auf der Welt ein Referenzprojekt gibt, scheint dies eine besonders anspruchsvolle Aufgabe zu sein. Worin bestehen die größten Herausforderungen und was ist Ihr technologischer Ansatz, um sie zu lösen?

BH: Wir müssen vor allem die räumlichen Entfernungen und die Hürden beim Einsatz von Messwerkzeugen in den Griff bekommen. Bedenken Sie die Dimensionen, von denen wir hier sprechen: Entlang der 16 Kilometer des gesamten Anlagekomplexes gibt es zahlreiche Wartungseinrichtungen, Messstationen und Sensoren, die von verschiedenen Dienstleistern betrieben und bereitgestellt werden. Bei insgesamt 30.000 Assets sprechen wir von über 20.000 angeschlossenen Assets, die zweimal pro Sekunde über 220.000 Meldungen mit Informationen versenden.

Diese Daten werden über eine Schnittstelle an die speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) geliefert, die Teil eines „Supervisory Control and Data Acquisition“(SCADA)-Systems ist. Die spannende Frage lautete: Könnte man das System so trainieren, dass es das normale Verhalten jedes Assets „erlernt“ und somit in der Lage wäre, den Wartungsbedarf vorherzusagen oder selbstständig Korrekturen an den Steuerungsparametern für die Anlage vorzuschlagen? Genau das haben wir mit einer Machine-Learning-Lösung erreicht. Wir werten detaillierte Echtzeitdaten dort aus, wo sie erfasst werden. Darüber hinaus kann unser Algorithmus das Normalverhalten der Assets „erlernen“ und somit bei Abweichungen, z.B. im Schienennetz oder anderen Infrastrukturteilen, das SCADA-System informieren, das dazu entsprechende Arbeitsaufträge startet.

 

DIALOG: Wie gehen Sie vor, um einen möglichst umfassenden Überblick zu erhalten?


BH: Viele Geräte auf der Brücke sind bereits mit unserem Netzwerk verbunden. Sie liefern uns eine Menge Informationen über Wetterbedingungen, Signalfehler usw. Aber das ist nur ein Ausschnitt aus dem Gesamtbild. Es gibt immer noch Teile, die mit uns „sprechen“ könnten, es aber nicht tun, auf der Brücke sind das z.B. Beton, Stahl, Brückenlager, Dehnungsfugen, Kabelsysteme. Wir mussten also sinnvolle Ansatzpunkte finden, um diese Informationen zu erhalten, etwa beim Beton und den Brückenlagern. Diese könnte man zunächst mit Sensoren ausstatten, die wiederum zwecks Kommunikation eine Glasfaser- oder Drahtlosverbindung benötigen – also ein recht aufwendiges Verfahren. Bei der Planung konzentrierten wir uns also zuerst auf die angeschlossenen Geräte, die bereits Informationen liefern.

Vor allem war der zustandsorientierte Blickwinkel wichtig. Wenn wir z.B. in einigen Bereichen messen, dass die Temperatur und der Druck über oder unter dem normalen Niveau liegen, könnte das auch ein Auslöser für Wartungsaktivitäten sein. Eben solche Überlegungen führten zu einem wesentlichen Durchbruch im Projekt: nämlich zu der Erkenntnis, dass die Messung und der Vergleich der Parameter in der Umgebung eines Bauteils effektiver sein könnten als dessen Aufrüstung mit einem neuen IoT-Device.

 

DIALOG: Bitte geben Sie uns ein Beispiel.


BH: Wir verwenden Luftentfeuchter, um den Prozentsatz der Feuchtigkeit in den Stahltraversen unter 40% zu halten. Steigt sie über 60% an, kommt es zu Korrosion. Wenn dieser Wert nun in einem Gerät plötzlich ansteigt, kann das in Ordnung sein, weil es draußen regnet: Er steigt kurzzeitig an und geht dann wieder zurück. Aber stellen Sie sich vor, wir haben sieben verschiedene Luftentfeuchter, sechs davon zeigen eine bestimmte Befeuchtungsstufe an und der siebte die höhere Stufe. Ohne die internen Parameter dieses Luftentfeuchters zu messen, können Sie sehen, dass die Leistung dieses Geräts schlechter ist als die seiner sechs „Kollegen“. Und das ist eine schlechte Nachricht, denn jetzt müssen wir uns dieses Gerät ansehen – und vielleicht ist es ein Indikator für Korrosion in der Traverse.

 

DIALOG: Was sind die nächsten Schritte? Könnten Sie das System noch präziser gestalten?

BH: Ein präziserer Algorithmus ist für uns nicht vorteilhaft, dessen Skalierung auf die gesamte Anlage wäre recht kostspielig. Das ist übrigens der große Unterschied unseres Projektes zu anderen Industrie-4.0-Initiativen in der vorausschauenden Wartung. In der Regel ist jeder Anlagenausfall in der Industrie eine Katastrophe, die es zu vermeiden gilt. Dieses Szenario steht bei uns nicht auf der Tagesordnung, wir haben sehr wenige Ausfälle. Im vergangenen Jahr war die Passage zehn Stunden lang geschlossen, und die meisten dieser zehn Stunden gingen auf Wind und Unfälle auf der Straße zurück. Technische Fehler machten vielleicht noch 30 Minuten dieser zehn Stunden aus. Wir haben also keinen Business Case, um Ausfallzeiten zu reduzieren. Natürlich könnten wir die Verfügbarkeit verbessern. Aber die 30 auf 15 Minuten zu senken ist nicht sinnvoll. Unser Business Case besteht vielmehr darin, eine kostengünstigere Wartung zu erreichen.

Und ja, es gibt immer noch eine ungelöste Frage: Wie können wir den Zustand eines Bereichs oder einer Komponente feststellen, wenn die Geräte dort nicht laufen? Viele wichtige Teile unserer Ausrüstung, wie z.B. die Strahlventilatoren im Tunnel, laufen nur im Notfall, sodass es nicht möglich ist, sie in eine zustandsorientierte Echtzeitüberwachung zu integrieren. Das ist leider ein großer Unterschied zu anderen Wartungsszenarien wie z.B. in Kraftwerken, wo die Dinge immer in Betrieb sind und ihr Zustand somit überwacht werden kann. Aber ich bin optimistisch, dass sich auch diese Herausforderung lösen lässt.

Anwendungsbereich: Bauwesen

 

Herausforderung

Instandhaltung der längsten Schrägseilbrücke der Welt mit Straßen- und Schienenverkehr; sehr hoher Wartungsaufwand, da das Personal in der Regel nicht vor Ort ist; zeitaufwendiger Zugang zu den Geräten.

 

Lösung

Übermittlung von Sensor- und Aktordaten über eine SPS-Schnittstelle an IoT-Gateways, die Teil eines SCADA-Systems sind; zustandsorientierte Wartung durch den Betreiber möglich.