Kapitel 8
Zell am See, Österreich
Ein Google des Waschraums
Zell am See in der österreichischen Region Pinzgau wurde schon in der Bronzezeit besiedelt. Die ersten römischen Expeditionen, die kurz vor der neuen Zeitrechnung die Gegend erreichten, fanden eine blühende keltische Kultur vor, die seit einem halben Jahrtausend in der Region beheimatet war (nachdem sie natürlich eine andere blühende Kultur vertrieben hatte, die ebenfalls ein halbes Jahrtausend lang die Gegend bewohnt hatte). Neben römischen Münzen und Tonscherben, die heute noch hin und wieder ausgegraben werden, sowie zahlreichen Pisten und Hotels beheimatet Zell am See seit 45 Jahren die Zentrale der Hagleitner Hygiene International GmbH.
Hagleitner beschäftigt sich intensiv mit den Potenzialen der Smart Products Economy und der Rolle, die man in ihr spielen will. An Selbstbewusstsein mangelt es dem Traditionsunternehmen dabei nicht: „Wir wollen ein Google des Waschraums schaffen“, sagt Gernot Bernert, technischer Geschäftsleiter des Unternehmens. Dahinter stehen die Vision eines „transparenten Waschraums“ und die Plattform sense-MANAGEMENT als ihr zentrales Element. Die Produkte von Hagleitner – Seifen-, Duft-, Desinfektionsmittel- oder Handtuchspender – sind inzwischen umfassend mit Elektronik ausgestattet. Sensoren und Konnektivität ermöglichen es, Daten über Verbrauch, Frequenz und Nutzungsmuster zu sammeln und an einen zentralen Server zu senden. Dieser verteilt die analysierten Daten an die „User“, die über ihre individuellen Endgeräte auf die Auswertungen zugreifen.
Die generierten Daten erlauben genaue Aussagen darüber, wann die Nachfüllprodukte neu geordert werden müssen, welche Spender eine Überholung benötigen, oder wie das Reinigungspersonal am besten eingesetzt werden soll. Die Geräte arbeiten so präzise, dass jede Einzelabgabe von Verbrauchsstoffen aufgezeichnet wird. Dabei hat Hagleitner die gesamte Supply Chain im Blick: Lässt sich der Verbrauch exakt planen, kann auch das Liefermanagement effizient gestaltet und unnötige Lagerhaltung vermieden werden.
„Wir wollen sämtliche Daten, die in einem Waschraum generiert werden, für unsere Kunden und unsere eigenen Prozesse nutzen“, sagt Bernert. Das setzt voraus, dass man den Blick nicht nur auf die eigenen Produkte richtet und die Vision nicht durch den eigenen Tellerrand limitiert, wie Bernert es formuliert. Denn Kunden sehen den Waschraum als Ganzes – dazu gehören neben den Spendern auch Lichtsysteme, Türen, Lüftungen oder Schlösser. Notwendig seien deshalb eine komplette Vernetzung des Raumes und auch die Fähigkeit, intelligente Produkte zu Mehrzweckwerkzeugen zu machen. So kann beispielsweise ein Spender auch als Bewegungsmelder fungieren und entsprechend die Lichtquellen steuern. Doch das ist nicht alles. Den Gedanken, dass der eigene Horizont nicht der Horizont des Kunden ist, setzt Hagleitner konsequent um.
Das Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, die es erlaubt, selbst schwer erreichbare, zum Beispiel in Kellergeschossen gelegene Waschräume mit Konnektivität auszustatten und an das Gesamtsystem anzubinden. Diese Technologie öffnet Hagleitner auch für andere Unternehmen
Durch die Analyse der gewonnenen Waschraum-Daten kann Hagleitner inzwischen allein anhand der Verbrauchsmuster erkennen, ob in einer Mehrzweckhalle ein Konzert oder eine Sportveranstaltung stattfindet und durch die Integration mit Eventdaten die Menge an Verbrauchsmaterialien, die für eine Veranstaltung benötigt werden, genau prognostizieren.
Die Entstehung von „Big Washroom Data“ hat das Geschäftsmodell von Hagleitner erweitert. Neue Angebotsmodelle („pay per use“, „pay per entry“) können ausprobiert und neue Zielgruppen erschlossen werden. Zum Beispiel Entscheidungsträger in Krankenhäusern, mit denen man nun nicht mehr nur über eine Charge neuer Spender verhandelt, sondern über ein integriertes, automatisiertes Hygienemanagement und die Kontrolle der Einhaltung von Hygienestandards diskutiert.
Als wir Zell am See verlassen, freuen wir uns darüber, dass es Unternehmen wie Hagleitner gibt. Klassische Mittelständler, die sich trauen, davon zu sprechen, ein Google des Waschraums zu werden. Die Smart Products Economy gehört nicht Google & Co. Sie gehört allen, die den Mut, die Kreativität und das Talent haben, sie nach ihren Visionen zu gestalten. Unternehmen wie Hagleitner.