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„Structure follows Strategy“
Implikationen und Chancen der SAP-S/4HANA-Einführung für die Unternehmensstrategie
Interview mit Prof. Dr. Andreas Pasckert und Prof. Dr. Peter Gordon Rötzel, Professoren an der Hochschule Aschaffenburg
DIALOG: Laut einer Umfrage des IT-Onlinemagazins investieren derzeit 76 Prozent der Unternehmen in S/4HANA, weil SAP-Technologie bei ihnen strategisch gesetzt ist. Einen konkreten betriebswirtschaftlichen Nutzen sehen dagegen nur halb so viele Unternehmen. Wie lautet Ihre Meinung – ist die SAP-Migration ein Zwang oder Vorteil?
PROF. PASCKERT: Diese Aussage spiegelt die Umsetzungsproblematik zwischen dem strategischen und dem operativen Management wider: Klassischerweise dienen strategische Investments dem Aufbau von nachhaltigen Erfolgspotenzialen und Wettbewerbsvorteilen – wie die neuen Möglichkeiten, die sich auf Basis von S/4HANA ergeben. Der konkrete betriebswirtschaftliche Nutzen ist dagegen die zentrale Herausforderung des operativen Geschäfts.
„Die Migration von S/4HANA bietet strategische Chancen zur Neuausrichtung kompletter Geschäftsprozesse und ganzer Geschäftsfelder.“
PROF. RÖTZEL: Welche Chancen und Risiken sich durch die Migration von S/4HANA konkret im Einzelfall ergeben, kann für jedes Unternehmen nur individuell bewertet und bestenfalls für Branchen skizziert werden. SAP S/4HANA bietet sehr viele Möglichkeiten für nachhaltige Erfolgspotenziale und Wettbewerbsvorteile, aber es erfordert insbesondere vom Top-Management die klare Einbindung in die langfristige Unternehmens- sowie die daraus abgeleitete Digitalisierungsstrategie. Hier sehe ich einen Trade-off zwischen früher Migration – mit den daraus resultierenden First-Mover-Vorteilen – und einer späteren Migration. Diese kann z.B. durch mögliche Wettbewerbsnachteile ohne S/4HANA getrieben sein. Doch diesen Trade-off zu lösen ist klar die Königsaufgabe des Top-Managements.
DIALOG: Von der Digitalisierung erhoffen sich Unternehmen viele Verbesserungen: Es gilt, flexibler, autonomer, dezentraler, individueller, effizienter zu werden. Wie kann der Umstieg auf SAP S/4HANA dazu beitragen, diese Erwartungen zu erfüllen?
PROF. RÖTZEL: Das Rückgrat der Digitalisierung besteht aus der Kombination einer erfolgreichen Digitalisierungsstrategie und modernster Informationstechnologie. Die genannten Schlagworte haben alle gemein, dass sie der Appliance sehr viel abverlangen. Typischerweise erfordert die operationelle Umsetzung eine deutliche Effizienzsteigerung, vor allem bei Datenanalysen und Backend-Prozessen.
PROF. PASCKERT: S/4HANA kann die grundlegende Informationsinfrastruktur für eine Digitalisierungsstrategie bilden, bei der sehr große Datenmengen in kürzester Zeit verarbeitet werden. Bei diesem Konzept erfolgen Online Analytical Processing (OLAP) und zugleich Online Transaction Processing (OLTP) auf einer In-Memory-Datenbank. Im Idealfall ermöglicht dies die Datenanalyse von Kundenanforderungen in Echtzeit und deren unmittelbare Umsetzung in individualisierte Produkte. Markttrends können dadurch frühzeitig prognostiziert und Kundenwünsche umgehend realisiert werden.
PROF. RÖTZEL: Derartige Nutzeranforderungen existieren nicht erst seit der Digitalisierung oder der Markteinführung von S/4HANA. IT-typische Herausforderungen wie eine Steigerung der Prozesseffizienz, eine Reduktion der Betriebskosten sowie eine nachhaltige Senkung der Komplexität und eine gleichzeitige Verbesserung des Handlings brennen CIOs und IT-Verantwortlichen schon lange „unter den Nägeln“. Darüber hinaus sollte man auch auf das sonstige Umfeld im Unternehmen achten. Hier kann es schnell zu Kompatibilitätsproblemen zwischen Maschinen und der neuen IT-Plattform kommen.
DIALOG: Welche Fehler begehen Unternehmen bei der Implementierung von bzw. der Migration auf SAP S/4HANA und wie lassen sich diese frühzeitig vermeiden?
PROF. RÖTZEL: S/4HANA vorrangig als technische Implementierung zur weiteren Automatisierung von Fertigungsprozessen zu begreifen wäre zu kurzfristig gedacht, zu stark losgelöst von einer langfristigen Digitalisierungsstrategie. Die Migration von S/4HANA bietet vielmehr strategische Chancen zur Neuausrichtung kompletter Geschäftsprozesse und ganzer Geschäftsfelder. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Auswahl eines Service-Providers, der die Migrationsstrategie entscheidend unterstützen kann und oftmals das Know-how mitbringt, das vor allem in mittelständischen Unternehmen knapp ist.
PROF. PASCKERT: Im Lichte der hohen Kosten, der starken organisatorischen Auswirkungen und der monate- bis jahrelangen Einführungs- und Übergangszeit kann sich die Verpflichtung eines Service-Providers, der nicht zu den unternehmensspezifischen Anforderungen passt, dagegen als existenzgefährdend auswirken. Immerhin bricht ein wesentlicher Anteil von Unternehmen Migrationsprojekte vor dem Ende ab. Daneben benötigt ein signifikanter Anteil von Migrationsprojekten deutlich mehr Zeit und kostet auch erheblich mehr als zu Beginn kalkuliert. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, erforschen wir die Erfolgsfaktoren in unserer aktuellen Umfrage (siehe www.surveymonkey. de/r/SAP-2017R). Dort ermitteln wir genau diese spezifischen Anforderungen an IT- Dienstleister im HANA- bzw. S/4HANA-Umfeld. Auf dieser Wissensbasis unterstützen wir Unternehmen bei der Suche und Auswahl des geeigneten Service-Providers.
DIALOG: Wie vermeiden es Unternehmen, dass sie die Möglichkeiten von SAP S/4HANA nicht vollständig nutzen – etwa bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle?
PROF. RÖTZEL: In vielen Unternehmen besteht die grundlegende Prozessstruktur bereits seit Jahrzehnten. Auf diesen Gebieten sind sie erfolgreich und hier wer- den die Deckungsbeiträge für zukünftige Entwicklungen erzielt. Dies verschafft Spezialisierungs- und Lernvorteile. Unternehmen sollten vor dem Hintergrund der Einführung von SAP S/4HANA ihre Digitalisierungsstrategie auf die langfristige Unternehmensstrategie ausrichten. Dabei gilt der Grundsatz „Structure follows Strategy“ – und SAP S/4HANA sollte man hier auch als Teil der „Structure“ betrachten.
Entscheidend für Unternehmen ist, dass man bei der Einführung von S/4HANA auch mögliche, zukünftige Entwicklungsfelder oder Geschäftsmodelle mit im Blick hat, die man bislang nicht verfolgt. Es besteht ein deutlicher Trade-off zwischen der Flexibilität zur weiteren Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen auf der einen Seite und der Effizienz des SAP-Systems auf der anderen Seite. Kurzum, es empfiehlt sich, vor allem auf Vorstandsebene, mögliche strategische Optionen im Blick zu behalten und diese auf der Grundlage einer Einführung von SAP S/4HANA zu prüfen.
DIALOG: In der Fertigungsindustrie und in der Logistik sind Cyber Physical Systems (CPS) das „Idealziel“ von Industrie-4.0-Strategien. Wie unterstützt SAP S/4HANA die Einbindung von „intelligenten“ Maschinen und wie lassen sich diese im Verbund mit den menschlichen Kollegen managen?
PROF. PASCKERT: Die Kombination von OLAP und OLPT auf einer In-Memory-Plattform kann eine Basis für ein cyber-physisches System bieten: OLAP ermöglicht die Analyse großer Datenmengen aus dem Internet, den Kundensystemen und weiteren Datenquellen. Im Idealfall können dadurch Bedarfe und (bevorstehende) Kundenwünsche in Echtzeit ermittelt werden.
OLPT hingegen ermöglicht anschließend den Link zwischen der Appliance und den Menschen sowie intelligenter informatorischer, mechanischer, elektronischer und softwaretechnischer Komponenten. Dies kann man beispiels- weise nutzen, um neue Marktanforderungen in Echtzeit zu erkennen und diese durch individualisierte Produkte zu erfüllen.
PROF. RÖTZEL: Ein oft vernachlässigter Teil ist jedoch die zwingende Einbeziehung von Akzeptanz und Motivation der Mitarbeiter. Ähnlich wie bei zu schnell eingeführten Migrationen kann sich hier schnell ein„innerer Widerstand“ bilden. Dabei gilt es vor allem, dem durch Change Management und gezielte Kommunikation entgegenzutreten. Denn die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine hat viel größeres Potenzial, Arbeitsplätze zu sichern, als sie abzuschaffen.
„Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine hat viel größeres Potenzial, Arbeitsplätze zu sichern, als sie abzuschaffen"
Über die Interviewpartner
Prof. Dr. Pasckert und Prof. Dr. Rötzel, LL.M., forschen und lehren im Bereich der Managementinformationssysteme, insbesondere mit Fokus auf die erfolgreiche Migration von ERP-Systemen sowie auf Effizienzgewinne durch die Digitalisierung von Prozessen. Hierbei ist Prof. Dr. Pasckert spezialisiert auf die Gestaltung von Geschäftsprozessen. Prof. Dr. Rötzel hat seinen Forschungsschwerpunkt auf dem effizienten Design von Managementinformationssystemen vor dem Hintergrund von Big Data und Information Overload.