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Erfolgsfaktor Musterbruch
Bedrohung oder Chance? Wie sich etablierte Zulieferer der Automobilindustrie beim Wandel zur E-Mobilität behaupten können
Folgt der Wandel zur E-Mobilität den gleichen Mustern, die auch für bisherige technologische Innovationen im Fahrzeug galten? Falls ja, könnte es gar nicht mehr so lange dauern, bis mehr Hybrid- und E-Fahrzeuge auf den Straßen surren als Autos mit Verbrennungsmotor. Das Beispiel ESP (Elektronisches Stabilitätsprogramm) veranschaulicht perfekt die „Etablierungsphasen“ von neuen Technologien, die zuerst in Oberklassefahrzeugen für eine kaufkräftige und technikaffine Kundschaft angeboten und bei Erfolg modellklassenübergreifend zum Einsatz kommen. Eingeführt 1995 mit dem Mercedes S-Klasse Coupé, ist ESP heute Pflicht für Neuwagen in Europa, hat aber dennoch in vielen Länder noch keine Dominanz. Im Vergleich dazu sind bei der E-Mobility die ersten Anzeichen dieser Entwicklung bereits jetzt sichtbar: So war der Tesla Model S im dritten Quartal 2016 nicht nur die meistverkaufte Oberklasselimousine in den USA, sondern hat dort sogar einen größeren Absatz als die zweitplatzierte Mercedes S-Klasse und der drittplatzierte BMW 7er zusammen. Allerdings erweisen sich im Falle der E-Mobilität vielleicht die neuen Wettbewerber der chinesischen Autoindustrie als „Musterbrecher“, da diese verstärkt auf E-Mobilität setzen und am Markt schnell an Bedeutung gewinnen könnten.
In jedem Fall ist Deutschland als Auto-Nation eines der Länder, in denen sich die Auswirkungen des Wandels zur E-Mobilität als Erstes bemerkbar machen werden. Denn Deutschland verantwortet einen relevanten Anteil der weltweiten Fahrzeugproduktion und ist zudem einer der Pioniermärkte, in denen neue Modelle bzw. Fahrzeugkonzepte frühzeitig größere Marktanteile erreichen. Die Auswirkungen der E-Mobilität auf die hiesige Autoindustrie und den damit verknüpften Dienstleistungssektor werden daher sehr weitreichend sein (s. Grafik S. 7). Ernsthaft bedroht ist so gut wie jedes Unternehmen, das heute Komponenten und Systeme für den traditionellen Antriebsstrang liefert, denn deren Markt in Deutschland schrumpft und verschwindet in absehbarer Zeit. Für diese Firmen wird E-Mobilität zur existenziellen Frage, der nur mit neuen Strategien begegnet werden kann. Welche Überlebenschancen es gibt, lässt sich anhand einer Produkt-Markt-Matrix (auch bekannt als Ansoff-Matrix) sehr vereinfacht darstellen:
Die betroffenen Unternehmen sollten nun die Entscheidung treffen, auf welchen der Quadranten sie den Fokus ihrer Aktivitäten richten. Daraus ergeben sich eigene Strategien bzw. unterschiedliche Schwerpunkte:
(1) Marktdurchdringung/(2) Marktentwicklung: Entscheidet sich eine Firma, mit ihren bestehenden Produkten bzw. Technologien weiterzuarbeiten, so sollte sie den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf Sales/Marketing sowie auf Production Footprint legen. Um wettbewerbsfähige Produktionskosten sicherzustellen, sollten Unternehmen entscheiden, welche Produkte in welchen Standorten produziert werden - und dies mit einer hohen OEE (Overall Equipment Effectiveness) verbinden. Klassische Werkzeuge des Lean Manufacturing unterstützen dabei, die OEE kontinuierlich zu optimieren. Allerdings sind die Chancen, den eigenen Marktanteil zu erhöhen oder gar neue Märkte zu erschließen, eher begrenzt, weil der Markt für Automobilhersteller und -zulieferer meist gesättigt ist. Hier an Boden zu gewinnen bedeutet, besser zu sein als der Wettbewerb, der ebenfalls gute Produkte günstig produzieren kann. Außerdem ist dieses Vorgehen nur solange möglich, wie der Verbrenner einen nennenswerten Anteil an der gesamten weltweiten Automobilproduktion hat. Bis dahin wird immerhin Zeit und Geld gewonnen, um den größeren Sprung in einen der weiteren Quadranten vorzubereiten.
(3) innovationen/(4) Diversifikation:
Setzt sich eine Firma stattdessen als Ziel, mit neuen Produkten bzw. Technologien zu arbeiten, so sollte der Schwerpunkt bei Innovationsmanagement und Produktentwicklung liegen. Die sehr wichtige Frage, welche Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind, sollte beim Innovationsmanagement berücksichtigt werden – denn daraus ergibt sich der Spielraum für die Produktentwicklung. Zudem ist zu berücksichtigen, ob die Nachfrage für das vorhandene Produkt in veränderter Form weiter besteht. Klimaanlagen oder Standheizungen wird es beispielsweise nach wie vor geben, auch wenn der Antrieb bzw. die Energiequelle andere sind. Dafür werden Komponenten wie Zündkerzen oder Ölfilter ohne Verbrenner nicht mehr nachgefragt.
Produktentwicklung und Diversifikation können mehr Wachstumschancen eröffnen, bringen allerdings auch mehr Risiken mit sich. Das Unternehmen muss kräftig investieren und sich ggf. mit neuen, unbekannten Märkten beschäftigen. Der Erfolgsfaktor hier lautet ganz klar Geschwindigkeit. Es müssen neue Wege zur Ideenfindung geschaffen werden, die stark endkundenorientiert sind und neue Geschäftsmodelle aufdecken. Zudem sind Potenziale von Produkten und von Services zu berücksichtigen. Das Beispiel Car-Sharing zeigt hier, wie OEMs sich aktuell in Dienstleistungsanbieter wandeln. Innovationen und neue Technologien schnell zu beherrschen, beispielsweise durch ein schlankes PEP (Produktentstehungsprozess), wird zudem immer wichtiger. Denn wer hätte gedacht, dass der Internetkonzern Google so schnell ein eigenes Auto auf die Straßen bringen konnte? Kooperationen mit Unternehmen, die fehlende Kompetenzen ergänzen und Stärken aufbauen, gewinnen also stark an Bedeutung. Und letztendlich muss es gelingen, die eigene Mannschaft zu überzeugen und zu begeistern, schnell und offen neue Wege zur Innovation zu beschreiten.
In diesem Sinne wird der Musterbruch zum Erfolgsfaktor. Es gilt mehr denn je, an Geschwindigkeit zu gewinnen: Durch völlig neue Ansätze, eine klare Strategie und den Mut, "alte Zöpfe abzuschneiden". Denn neue Marktteilnehmer wie Tesla, Google und Co. haben diese Altlasten nicht. Ob Unternehmen die Elektromobilität als Bedrohung wahrnehmen oder als Chance nutzen, hängt dabei ganz von ihnen selbst ab.