THEMEN & NEWS
Beiträge und Interviews zu aktuellen Fach-, Technologie- und Branchenherausforderungen, Informationen zu unseren Beratungsangeboten, Seminaren und Events sowie Unternehmensthemen:
Hier erfahren Sie, was ROI-EFESO bewegt.
Interview
„Digitalisierung sollte mehr sein als ein Selbstzweck.“
Experte: Liping Wang, Vice President, EFESO Consulting Shanghai | 24.07.2024 | Teilen auf in
Mit VW und CATL zählen zwei wesentliche Gestalter der E-Mobilität zu den Gewinnern des INDUSTRIE 4.0 AWARD. Bei Town Hall Meetings in den preisgekrönten Werken in Dalian (VW FAW Engine) und Ningde (CATL) in China erhielt das ROI-EFESO-Team in diesem Jahr Einblicke in die Erfolgsgeschichten beider Unternehmen.
Herr Wang, Sie sind eng vernetzt mit chinesischen Marktführern aus den Schlüsselindustrien für die globale Entwicklung der E-Mobilität. Was machen diese Unternehmen besonders gut, wenn es um Digitalisierung und Automatisierung geht? Was zeichnet beispielsweise die „Digital Practice“ im Werk von VW FAW Engine als zukunftsweisende Industrie 4.0-Lösung aus?
LW: Diese Fabrik zeigt beispielhaft, wie eine Strategie im Arbeitsalltag verwirklicht werden kann. Mit seinem Speed-Programm hat VW bereits in den vergangenen Jahren einen sehr hohen Reifegrad in seinen Operations-Bereichen erlangt. In Dailan und an vielen weiteren Standorten entwickelten die Teams ein tiefes Wissen über den Wertstromablauf sowie über die idealen Voraussetzungen und Verfahren im Shopfloor-Management. Diese Expertise verbanden sie frühzeitig mit den Abläufen des Software-Managements, insbesondere zur Problemlösung in ihren Fertigungslinien und den damit verbundenen Betriebsfunktionen.
Dieses Vorgehen schuf gute Startbedingungen für die Industrie 4.0-Reise, etwa in der Kostendimension: Das tiefe Verständnis des Geschäftsprozesses ermöglicht es nun, die Investitionen für die Entwicklung digitaler Lösungen seitens externer Lieferanten zu managen. Darüber hinaus baute VW FAW Engine ein sehr starkes digitales Analyseteam auf, was wiederum frühzeitig Optionen zur KI-Integration eröffnete. Zusätzlich konnte anhand dieser Teamkonstellation eine eigene R-Sprache entwickelt und in einzelnen Produktionsbereichen das „Prediction“- und Autonomie-Level im Sinne der Industrie 4.0-Pyramide erreichen.
Können Sie das genauer erläutern? Wie nutzt das Werk KI im Sinne von „Prediction“?
LW: Zum Beispiel im Bereich der Maschinenspindeln im Motorenbau. Dort wurde eine eigene Predictive-Maintenance-Lösung entwickelt, die den Fertigungsprozess verfolgt. So wird jede Abweichung rechtzeitig angezeigt und der Anlagenbediener kann den Ausfall der Maschine sowie den Ausfall der Spindel selbst verhindern.
Dies ist vor allem eine Best Practice-Lösung zum Umgang mit Big Data: Das Fertigungsteam sammelte eine erhebliche Menge an Prozessdaten für das Data Analyst-Team. Gemeinsam identifizierten sie dann die Muster und Parameter, die den Ausfall der Spindel beeinflussen. Schließlich entwickelten sie ein Modell, um vorherzusagen, wann eine Wartung der Maschinenkomponenten erfolgen sollte, um den Ausfall der gesamten Anlage zu verhindern.
Die Teams im Werk lernen, wie man den Prozess definiert, verbessert und schließlich die funktionsübergreifende Zusammenarbeit gestaltet.
An diesem Punkt stehen selbst sehr progressive Unternehmen wiederholt vor der Herausforderung, die Perspektive der Fertigung mit denen des IT- bzw. des Data-Managements zu vereinen. Wie löst das Team in Dalian diese Aufgabe?
LW: Diese Herausforderung umfasst sogar noch mehr – nämlich die Transformationstreiber zu identifizieren, die für das Werk besonders wichtig sind. Ist es die Organisationskultur? Oder die Führungskultur? Oder muss die Kommunikationskultur so verändert werden, dass sie zu den Maßnahmen und Methoden in den Produktions- bzw. Geschäftsprozessen passt? Hier profitiert VW FAW Engine von zwei Vorteilen. Der erste ist der hohe Reifegrad der Prozesse im Operations Management, den das Speed Programm erreicht hat. Die Teams im Werk lernen, wie man den Prozess definiert, verbessert und schließlich die funktionsübergreifende Zusammenarbeit gestaltet.
Der zweite Vorteil ist die Führungskultur mit hochkommunikativen, motivierenden Entscheidungsträgern in der Werksleitung, die offen für die digitale Transformation sind. Es gibt keinerlei Einschränkungen, z. B. durch bürokratische Richtlinien. Im Gegenteil – das Team wird ermutigt, die passende digitale Lösung für einen Prozess zu entwickeln, sobald dieser gut funktioniert. Und das wird dann auch mit großer Motivation getan.
Was zeichnet diese Industrie 4.0-Erfolgsgeschichte - kurz zusammengefasst - besonders aus?
LW: VW FAW Engine verfolgt einen starken Bottom-up-Ansatz mit deutlicher Management-Unterstützung und einem ausgereiften Operations-Rahmenwerk. Innerhalb dieses Rahmens entwickelt das Team digitale Lösungen mit Knowhow, Experimentierfreude und der Flexibilität zum Umdenken.
Wie bereits erwähnt ist das tiefe Prozessverständnis hier ein Schlüsselement. Das Team weiß, welche Art von Daten benötigt werden und welche Modelle sie auf der Grundlage der Daten erstellen müssen. Daraus entwickelt sich letztendlich das Zielbild bzw. Design der geeigneten digitalen Lösung. Dieses Vorgehen macht den Unterschied zu weniger erfolgreichen Ansätzen aus. Als Erfahrungswert ließe sich hieraus ableiten: Digitalisierung sollte nicht als Selbstzweck verfolgt werden, sondern auf einem starken Fundament aus Prozess- und Daten-Knowhow basieren.
„Geschwindigkeit“ charakterisiert auch einen weiteren Gewinner des INDUSTRIE 4.0 AWARD 2023, dessen ausgezeichnetes Werk Sie in Nindge besucht haben.
13 Jahre nach seiner Gründung ist CATL* heute der weltweit führende Hersteller von Lithium-Ionen-Batterien. Wie unterscheidet sich dessen Industrie 4.0-Erfolgsgeschichte von der von VW FAW Engine?
LW: Beide Wege sind kaum miteinander vergleichbar, denn bei CATL handelt es sich um einen einzigartigen Business Case – sei es in der Prozessindustrie, im E-Mobility-Markt oder in vielen anderen Bereichen. Seit dem Start des Unternehmens in 2011 wurden der gesamte Prozess sowie die Technologie für die Batterieproduktion bereits 13 Mal geändert oder verbessert. Es gab erhebliche Veränderungen, insbesondere hinsichtlich des Materialverbrauches, der F&E-, Fertigungs- und Logistikprozesse sowie beim Personal – und das im Halbjahrestakt. Im Vergleich zu einem etablierten OEM wie VW konzentriert sichCATL bei seiner Industrie 4.0-Reise also eben nicht auf die Details und die Perfektion des Prozesses, sondern auf die Auswahl der richtigen Technologie. Dies ist das erste Merkmal bzw. der erste Unterschied.
Der zweite Aspekt ist die anders ausgerichtete Strategie. Bei der Implementierung digitaler Lösungen stellt sich natürlich immer die Frage nach dem ROI, in der Regel muss man die Amortisierung in zwei Jahren berücksichtigen. Bei CATL werden jedoch viele Entscheidungen zuerst anhand der strategischen Ausrichtung und sekundär zur Return-on-Investment-Kalkulation getroffen. Dies gilt für Investitionsentscheidungen in IT-Technologien ebenso wie für den Ausbau der Personalkapazitäten.
Zumal es besonders schwierig ist, für Fertigungsprozesse, die sich so schnell verändern oder komplett neu entstehen, Fachkräfte mit Digitalisierungs-Know-how zu finden. Wie spiegelt sich das in der Team-Konstellation im Werk in Nindge wider?
LW: Die Anzahl der Teammitglieder in den Operations-Bereichen und besonders in der IT ist im Vergleich zu anderen Unternehmen im Markt viel höher – insbesondere im Vergleich zur Anzahl der Mitarbeiter, welche den Aufbau oder die Gestaltung von Fertigungsprozessen verantworten. Daher war es auch eine strategische Entscheidung, so viele Fachkräfte zur Digitalisierung wie möglich einzustellen.
Kombiniert mit dem Einsatz der besten verfügbaren Technologien erzeugt dies eine enorme kreative Kraft und Wirkung. Etwa beim KI-Einsatz: Basierend auf den riesigen Datenmengen, die seit dem ersten Tag in der Fertigung gesammelt wurden, ist CATL äußerst erfolgreich bei der Entwicklung und Nutzung einer eigenen KI-Lösung. Diese analysiert und überprüft Millionen von Produkt- oder Prozessbildern und lernt dabei, Fehler oder Qualitätsmerkmale der Produkte zu „verstehen“.
Um das hohe Tempo der Transformation zu halten, liegt der Fokus auf Technologie statt auf Perfektion in den Prozessen.
Auf welche Weise stellt das Unternehmen einen schnellen und effizienten Informationsfluss zwischen all diesen Teammitgliedern sicher?
Insbesondere im Hinblick auf die dynamischen Marktbedingungen, die sehr kurzen Entwicklungszyklen und die sich schnell entwickelnden Fertigungstechnologien?
LW: In der Unternehmenskultur von CATL sind u.a. zwei „Verstärker“ verankert, um dies zu schaffen. Erstens: Wenn das Unternehmen eine digitale Lösung entwickeln oder nutzen möchte, orientiert es sich strikt nach dem oberen, rechten Sektor der Gartner-Pyramide. Es wählt also die beste Lösung, was ein erster Erfolgsgarant sein kann.
Zweitens sind die Wurzeln der Startup-Kultur nicht zu vergessen – trotz der enormen Expansion ist das Unternehmen noch recht jung. Und obwohl es sich inzwischen um einen globalen Konzern handelt, ist die Mentalität der Startup-Kultur dort immer noch präsent. Dies geht in den Transformationsprozessen der meisten Unternehmen auf dem Weg verloren, zugunsten bürokratischer Organisationen und Prozesse. Aber wer es schafft, bei diesem Wandel kulturelle Werte zu pflegen und mit einem ansteigenden Transformationstempo mitzuhalten, profitiert davon natürlich.
Wie setzen beide Unternehmen ihre Industrie 4.0-Reise fort?
LW: VW FAW Engine wird seinen Erfolg mit seinem Bottom-up-Ansatz und seinem hervorragenden Prozessverständnis und seiner Prozesskontrolle sicherlich weiter ausbauen. Ein wichtiges Ziel kann dabei sein, das Tempo durch die Nutzung neuer Technologien zur Prozessunterstützung beizubehalten.
CATL adressiert bereits die höchste Ebene der Industrie 4.0-Pyramide, das autonome Prozessmanagement. Hier wird also die Entwicklung und Nutzung von KI ein zentraler Erfolgsfaktor für die nahe Zukunft sein. Aus Prozesssicht mag es allerdings Veränderungen geben, z.B. werden sich die Transformationszyklen von halben Jahren auf längere Zeiträume erstrecken. Stabilisiert sich der Fertigungsprozess entsprechend, sollte das Unternehmen prüfen, wie er sich aus WCOM™**-Sicht weiterentwickeln lässt. Dies wird von großer Bedeutung sein, um die bisher erzielten Erfolge bei der Interaktion der Operations-Bereiche zu skalieren.
*Contemporary Amperex Technology Co., Limited / **World Class Operations Management
Mehr erfahren
INDUSTRIE 4.0 AWARD: Gewinnerprojekte›
Sie möchten mit einem eigenen Projekt teilnehmen oder eines aus der Industrie vorschlagen? Wir freuen uns auf Ihre Nachricht.
Thank you for Signing Up |